Zukunft des Wehrdienstes Orientierungslinien für die Zukunft der Bundeswehr

Stellungnahme der ad-hoc Arbeitsgruppe "Zukunft des Wehrdienstes" des Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK)

Inhalt

1. Friedensethische Orientierungen 3

II. Die veränderte außen- und sicherheitspolitische Situation Deutschlands 12

III. Sicherheitspolitische Aufgaben und Anforderungsprofil für die Fähigkeiten deutscher Streitkräfte 16

IV. Kriterien für die zukünftige Ausgestaltung des Wehrdienstes 21

 

Zukunft des Wehrdienstes

Orientierungslinien für die Zukunft der Bundeswehr

I. Friedensethische Orientierungen

I. Die Zielperspektive einer christlichen Friedensethik ist die Herstellung von Voraussetzungen dafür, dass das internationale System in wachsendem Maße friedensfähig wird. "Nie mehr Rückkehr zur Logik der Gewalt!" bekräftigte Papst Johannes Paul II. am Schluss seiner Bitte um Vergebung für die Schuld der Kirche und ihrer Glieder in der Geschichte am ersten Fastensonntag 2000. Es gilt Möglichkeitsbedingungen eines gerechten Friedens zu schaffen, durch die den Ursachen neuer, am Ende gewaltförmig ausgetragener Konflikte entgegengewirkt und die Gewaltdynamik vorhandener Konfliktpotentiale vermindert wird. Als dauerhaft friedensfähig im Sinn dieser Perspektive kann nur eine Ordnung bezeichnet werden, in der die Menschenrechte politisch durchgesetzt werden können und durch die geltende Rechtsordnung geschützt sind.

Da die Herbeiführung politischer und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, die die Menschenrechte einbeziehen, aufs Engste daran geknüpft ist, dass akute Gewaltanwendung nicht stattfindet, liegt die friedensethisch entscheidende Aufgabenstellung im Ausbau und in der Fortentwicklung von Strukturen und Institutionen, die eine wirksame Gewaltprävention ermöglichen. Denn der Einsatz von Gewalt, schon wenn er nur kurzzeitig erfolgt, tendiert regelmäßig dazu, all das wieder zu zerstören, was einzelnen Personen und gesellschaftlichen Gruppen ein Zusammenleben ermöglicht, das von der Anerkennung der Würde und des Existenzrechts aller Beteiligten getragen ist. Militärische Vorkehrungen können friedensethisch nur legitimiert werden, wenn ihnen eine notwendige Funktion innerhalb eines auf Gewaltprävention zielenden friedenspolitischen Gesamtkonzepts zukommt. Sie stehen damit selbst unter dem Primat der Gewaltverhütung, mindestens aber der Gewaltminimierung. Es wäre sowohl anachronistisch wie vom systematischen Ansatz her verfehlt, sie als ein System "sui generis" aufzufassen, das einer institutionellen Eigenlogik folgen dürfte und sich allein anhand der Messlatte eines möglichst professionellen Umgangs mit Mitteln der Gewaltanwendung zu rechtfertigen hätte.

In der Diskussion um die zukünftige Aufgabenbestimmung und Struktur der Bundeswehr - mithin auch um die Frage der künftigen Wehrform - ist es dieser friedensethische Grundansatz, der die im folgenden dargelegte Positionsbestimmung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken prägt. Wo militärische Vorkehrungen zur Absicherung von Bemühungen um eine friedensorientierte Gestaltung der internationalen Politik auf absehbare Zeit für notwendig erachtet werden, müssen sie in den skizzierten Gesamtrahmen eingebettet bleiben und sind stets daraufhin zu überprüfen, ob und wie weit sie der beschriebenen Zielsetzung dienlich sind. Denn die Aufrechterhaltung wie der Einsatz von militärischen Potentialen sind bleibend begründungsbedürftig. Sie müssen zugleich zum einen in eine überzeugende politische Perspektive gestellt werden, die auf die Überwindung ihrer bisherigen Notwendigkeit gerichtet ist; zum anderen muss zwischen ihrem Umfang und ihrer Struktur einerseits und den Risiken, gegen die sie schützen sollen, andererseits eine Verhältnismäßigkeit bestehen.

Für die innere Struktur der Streitkräfte bedeutet dies, dass diese die friedenspolitische Aufgabenbestimmung abbilden muss. An der inneren Verfassung der Streitkräfte - an den sie kennzeichnenden Umgangsformen, Mentalitäten und Orientierungen ebenso wie an Führungskonzept und Entscheidungsverhalten der militärischen Vorgesetzten - muss sich ablesen lassen, welche friedenspolitische Aufgabenbestimmung ihre Existenz begründet.

2. Friedensethische Reflexion und Argumentation will eine inhaltliche Orientierung ermöglichen, die dem Streben nach der Überwindung von Gewaltursachen und nach der Schaffung von Möglichkeitsbedingungen eines gerechten Friedens Kontur verleiht. Entscheidendes Gewicht kommt dabei bereits ihrer Ausgangsüberzeugung zu, dass sich nämlich eine tragfähige Begründung für die Verpflichtung der internationalen Politik auf das Ziel des Friedens nicht lediglich auf das Einzelinteresse bestimmter Akteure berufen darf, sondern diesen unterschiedlichen Partikularinteressen das Gesamtinteresse der Menschheit am Schutz elementarer kollektiver Güter entgegenstellen muss.

In den Sachbereichen der Friedensbewahrung und -gestaltung, aber ebenso des Aufbaus gerechterer ökonomischer und sozialer Verhältnisse weltweit und in den Fragen der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen nimmt nationalstaatliches Handeln direkten Einfluß auf die Sicherstellung, aber auch die Gefährdung solcher kollektiver Güter. Sie zu schützen und zu fördern erweist sich wegen ihrer grundlegenden Bedeutung für das Schicksal jedes einzelnen Menschen - letztlich für die Möglichkeiten, in denen sich die individuelle Personwürde jedes Menschen respektieren bzw. verteidigen läßt - als herausragende ethische Verpflichtung. In diesem Verständnis wird es notwendig, den herkömmlich in nationalstaatlichen Kategorien gedeuteten Begriff des "Gemeinwohls" zu modifizieren: In einer zunehmend interdependenten Welt schadet der Versuch, partikulare Vorteile auf Kosten anderer zu erringen, oft bereits mittelfristig auch den Interessen dessen, der eine solche Strategie verfolgt. Eigensüchtige Vorteilsnahme droht so immer mehr zu einer kontraproduktiven Handlungsweise zu werden. Dies kommt dem Versuch entgegen, die Orientierung an elementaren Standards eines internationalen Ethos, an einem "Weltgemeinwohl", auch unter nutzentheoretischen Gesichtspunkten plausibel zu machen.

Der Rückgriff auf orientierende friedensethische Kriterien läuft nicht einfachhin auf eine "vertikale Verlängerung" von Handlungslogiken hinaus, die auch ohne jede ethische Vergewisserung für zweckdienlich gehalten werden können. Denn noch immer ist eine Bewertung politischer Ereignisse, Entwicklungen und Entscheidungen unter dem Blickwinkel überparteilicher Gerechtigkeitserwägungen alles andere als selbstverständlich. Die Einsicht, dass es nicht zuletzt eine schwerwiegende Ungerechtigkeit sein kann, Fragen des internationalen Friedenserhalts allein unter pragmatischen, machtpolitisch orientierten Gesichtspunkten zu entscheiden, läuft dem Denken in Kategorien traditioneller Außenpolitik durchaus zuwider. Wäre diese Einsicht weiter verbreitet, stünden internationale Bemühungen um Friedenssicherung im Rahmen multilateraler Institutionen und Organisationen wohl weniger häufig vor dem Befund, dass ethische Reflexionen nicht orientierend wirken, sondern allenfalls in der Rolle von nachrangigen Begleitaspekten politischer Entscheidungen berücksichtigt zu werden scheinen. Ein besonders eindrückliches Beispiel für diesen Befund stellt das Versagen der internationalen Staatengemeinschaft angesichts des Genozids in Ruanda 1994 dar, der im vorhinein absehbar war und gegen den trotzdem keine wirksamen Schritte eingeleitet wurden.

3. Das Beispiel Ruanda konkretisiert zugleich den normativen Bezugsrahmen, in dem Fragen nach der friedensethischen Legitimität von bewaffneten Kontingenten zu diskutieren sind. Zwar eignen sich Streitkräfte - ihrer Eigenart wie ihrem politischen Auftrag entsprechend - nicht als primäre Instrumente einer Außenpolitik, die sich dem Ziel internationaler Friedenssicherung verpflichtet sieht. Die ihnen immanenten Begrenzungen dürfen nicht verkannt werden; zuweilen besteht die Gefahr, dass ihre konkrete politische Wirksamkeit angesichts der immensen Gewaltpotentiale, die moderne Militärtechnologie bereitstellt, überschätzt bzw. die auch politische Destruktivität vieler Formen von Gewaltanwendung unterschätzt wird.

Bewaffnete Kontingente können aber eine bis auf weiteres unverzichtbare Funktion in der Absicherung von Situationen haben, die ohne ihre Anwesenheit in einen Ausbruch von Gewalt zu münden drohen. Die erste und wichtigste Aufgabe nicht nur der Politik insgesamt, sondern ebenso des militärischen Apparats ist damit die Verhütung von Gewaltanwendung - wenn notwendig, auch durch die glaubwürdige Vermittlung des Signals, dass durch ihre Präsenz der Erfolg gewaltsamen Vorgehens vereitelt würde. An der Eignung der Streitkräfte, ihrem gewaltverhütenden Grundauftrag zu entsprechen, dürfen Zweifel weder geweckt noch genährt werden.

Gewaltverhütung als Grundauftrag heißt nach außen, hinsichtlich der eigenen Abwehr- und Verteidigungsfähigkeit gegen fremde Gewalt das Kriterium der Hinlänglichkeit nicht zu über-, aber auch nicht zu unterschreiten. Denn niemand soll ermuntert werden, sich seinerseits von der Anwendung von Gewalt einen politischen Erfolg zu versprechen. Dies hat Auswirkungen auf Struktur, Umfang und Ausstattung der Streitkräfte; auch auf die Wehrform, sofern sie maßgebliche Rahmendaten dafür setzt, ob und wie weit sich die Forderung nach Hinlänglichkeit angesichts potentiell komplexer Bedrohungssituationen einlösen läßt.

Nach innen gewendet bedeutet der Grundauftrag der Gewaltverhütung: Das militärische Selbstverständnis ist so auszuformulieren und innerhalb der Streitkräfte zu vermitteln, dass eine Binnenorientierung, die eher auf die Ausbildung von Söldnermentalitäten hinausliefe, zuverlässig unterbunden werden kann. Wer also die friedensethische und -politische Legitimation einer Armee in ihrem unverzichtbaren Beitrag zu wirksamer Gewaltverhütung begründet sieht, wird zugleich des legitimatorischen Stellenwerts gewahr, der der Realisierung des Konzepts der Inneren Führung in der Bundeswehr zukommt. Defizite in diesem Bereich sind keine vernachlässigbaren Schwächen oder gar "Schönheitsfehler", sondern Gradmesser dafür, wie weit das dargelegte Verständnis von der notwendigen friedensethischen Legitimation in den Streitkräften konkret wirksam ist und umgesetzt werden kann.

Auch die Antwort auf die Frage, welche Wehrform gewählt werden sollte, muss deswegen entscheidend davon mitbestimmt sein, welche Auswirkungen auf das vorherrschende Identitätsmuster der Soldaten bei einer Veränderung der Wehrform zu erwarten stünden. Diese Frage gilt es unter Berücksichtigung entsprechender Erfahrungen in den Armeen von Nachbarstaaten besonders sorgfältig und kritisch zu prüfen.

4. Eine Außen- und Sicherheitspolitik, die die Eingebundenheit der Situation jedes Einzelstaates in den umfassenden weltpolitischen Zusammenhang und die damit gegebene Mitverantwortung für das Ganze angemessen wahrnimmt, muss an einem universalen Schutz der Menschenrechte vital interessiert sein. Dieser Perspektive steht die Erkenntnis gegenüber, wie unzureichend das hierzu heute verfügbare politische Instrumentarium ist. Das Eintreten für die Menschenrechte trifft nach wie vor auf eine politische Situation, in der sich - ungeachtet entgegenstehender Deklarationen und Übereinkünfte - eine weitverbreitete Orientierung am Recht des Stärkeren dokumentiert.

Soll das Engagement für die Menschenrechte nicht nur als vordergründiges, seine legitimatorische Kraft zunehmend verlierendes rhetorisches Repertoire missbraucht werden, so müssen deswegen politische und rechtliche Ordnungsvorstellungen sowohl innerhalb als auch außerhalb Europas daraufhin überprüft werden, ob sie unter dem Gesichtspunkt des Menschenrechtsschutzes einer Veränderung bedürfen. Die Aufgaben der Gewaltverhütung im internationalen System und der Wahrung der Menschenrechte hängen eng miteinander zusammen. Die politischen Instrumente, auf die hierbei zurückzugreifen ist, sind vornehmlich nichtmilitärischer Art; sie schließen organisatorische, administrative, wirtschaftliche, finanzielle und kulturelle Formen der Verflechtung ein, in denen sich eine auf wechselseitige Solidarität gegründete Gesamtstruktur manifestiert.

Wer Krieg und Gewalt überwinden will, muss sich um die primären Ursachen kümmern, aus denen immer wieder beides erwächst. Zwischen den Staaten ist Sicherheit so zu organisieren, dass sie wirklich wechselseitig verlässlich ist, anstatt den bereits Starken auf Kosten des Schwachen zu begünstigen; vor allem muss so weit wie irgend möglich vermieden werden, dass durch sicherheitspolitische Arrangements die Ergebnisse vorgängiger Gewaltpolitik mitsamt ihren Folgen (Flüchtlingselend, Vertreibungen) im Nachhinein faktisch gebilligt werden.

Damit gewaltpräventive Vorkehrungen im Ernstfall greifen, sind geeignete Institutionen und Strukturen des internationalen Krisenmanagements erforderlich. Unter diesem Blickwinkel besteht Reformbedarf im Bereich des Friedenssicherungssystems der Vereinten Nationen, aber auch regionale Abmachungen wären daraufhin zu überprüfen, ob ihre Fähigkeiten zur gewaltvermeidenden Konfliktbearbeitung weiter ausgebaut werden müssten. Insbesondere dürfen jene Institutionen, denen die Wahrung eines übernationalen Gemeinwohls auf zentralen Verantwortungsfeldern wie dem Weltfrieden vorrangig übertragen ist, in intensiven Krisen nicht durch eine Blockadepolitik einzelner Mitgliedsstaaten gerade dann gelähmt werden, wenn ihre Handlungsfähigkeit ausschlaggebend für die Wirksamkeit aller Bemühungen um eine Abwendung weiterer Eskalationen wird.

In diesem Zusammenhang kommt der zunehmenden Verrechtlichung der internationalen Beziehungen eine zentrale Funktion zu. Die Fortentwicklung des internationalen Rechts erweist sich nicht nur im Hinblick auf den Schutz universeller menschenrechtlicher Grundnormen als notwendig. Zugleich trägt sie, zusammen mit der Stärkung internationaler Regime und multilateraler Übereinkünfte, entscheidend zur Friedensfähigkeit des internationalen Systems bei. Denn eine wirksame Ächtung von Krieg und Gewalt ist nur möglich, wo sie als Teil des Völkerrechts politisch durchgesetzt werden kann. Das in der Charta der Vereinten Nationen verankerte völkerrechtliche Verbot, in den Beziehungen zwischen Staaten Gewalt anzudrohen und anzuwenden, ist nur ein - allerdings überaus wichtiger - erster Schritt. Es ist dringend erforderlich, nicht nur die rechtlichen Standards, sondern auch die Prozeduren internationaler Institutionen so weiterzuentwickeln, dass dieses Verbot allseits respektiert werden kann, ohne dass einzelne Mitglieder der Staatengemeinschaft im Schutz des internationalen Gewaltverbots folgenlos Gewalt gegen ihre eigenen Bürger verüben können. Wer die Substitution völkerrechtlich verbindlicher Verfahren durch den Rückgriff einzelner Nationalstaaten zur (auch militärischen) Selbsthilfe ebenso verhindern will wie schlichtes Beiseitestehen angesichts schlimmster humanitärer Notsituationen, muss sich mit Nachdruck für diese Fortentwicklung wirksamer Institutionen und Mechanismen im Bereich internationaler Organisationen engagieren.

Einen bedeutenden Beitrag zur Erweiterung der politischen Optionen für nichtmilitärische Konfliktbearbeitung und Gewaltprävention kann die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) leisten. Wie sich an den bisherigen Erfahrungen mit Langzeitmissionen der OSZE ablesen läßt, kann sie insbesondere im Bereich der Krisenprävention und der Eindämmung innerstaatlicher Konflikte eine wichtige Rolle spielen. Das Potential der OSZE ist aufgrund der mangelhaften politischen und finanziellen Unterstützung dieses Instruments seitens der Mitglieder allerdings noch in erheblichem Maße unausgeschöpft. Die OSZE ist finanziell, personell und politisch in den Stand zu setzen, die ihr innewohnenden Chancen zu nutzen. Die Bundesregierung hat mit der Einrichtung eines kleinen Ausbildungsmoduls für UN- bzw. OSZE-Missionen erste Schritte unternommen, um sich am Aufbau eines adäquaten Personalpools für entsprechende Missionen zu beteiligen. Es wird viel davon abhängen, dass diese bescheidenen Anfänge in ein kohärentes Gesamtkonzept zur Stärkung der politischen Instrumentarien der Gewaltprävention eingebettet werden.

Innerhalb von Staaten bedarf es partizipativer, demokratischer politischer Strukturen und eines wirksamen Minderheitenschutzes, so dass sich verhindern läßt, dass eine einmal an die Macht gekommene politische, gesellschaftliche oder ethnische Gruppierung allen anderen Gruppen eine Teilhabe an der Gesamtverantwortung für das Wohl des Volkes und Staates verwehrt. Auf Dauer dürften außerdem nur solche Staatsund Regierungsformen akzeptiert werden, die von hinreichend vielen Bürgern als zumindest annährungsweise gerecht wahrgenommen werden. Kritisch sind Situationen, in denen der Verdacht besteht und durch konkrete politische Entscheidungen genährt wird, dass sich das Demokratieprinzip auf weitgehend formale Verfahrensweisen beschränkt, ohne dass ihm vor allem auf den Gebieten der Sozialpolitik und des Schutzes von Schwachen und Benachteiligten ein Konzept entspräche, das sich einer Wertorientierung am Prinzip der Gerechtigkeit und einem demokratischen Ethos verdankt. Unter solchen Verhältnissen gerät über Zeit die Zustimmung auch zu solchen Institutionen in Gefahr, die es nicht abzuschaffen, sondern deren soziale Zuträglichkeit es zu steigern gilt. Derartige Prozesse können, wie Entwicklungen in etlichen Ländern der sogenannten Dritten Welt gezeigt haben, schwere politische Krisen und innere Konflikte nach sich ziehen. An deren Ende steht nicht selten die Errichtung eines autoritären Regimes - mit einer neuen Kette von Gewalt und schwersten Menschenrechtsverletzungen im Gefolge.

Neben dem Ausbau der klassischen staatlichen Instrumentarien kommt auch der Stärkung der zivilgesellschaftlichen Kräfte im Rahmen von Gewaltprävention und Konfliktbearbeitung eine bedeutende Funktion zu. Die Teilhabe zivilgesellschaftlicher Akteure wirkt sich unmittelbar politisch aus: Gerade in demokratischen Staaten wird der außen- und sicherheitspolitische Spielraum der Regierungen wesentlich von der Bereitschaft der Öffentlichkeit bestimmt, konkrete Verpflichtungen mitzutragen oder nicht mitzutragen. Eine demokratische Öffentlichkeit entscheidet also zu einem nicht unerheblichen Teil darüber mit, welche Chance und Reichweite das Bemühen um einen gewaltvermeidenden Umgang mit Konflikten wirklich erhält. Mehr noch: Besonders auf dem Gebiet der Krisenprävention, aber auch nach dem Ende gewaltsamer Auseinandersetzungen können zivilgesellschaftliche Kräfte auf solchen Ebenen zur Veränderung der konfliktiven Grundsituation beitragen, die von der offiziellen staatlichen oder internationalen Politik nur schwer oder überhaupt nicht erreichbar sind. Sie nehmen auf diese Weise eine komplementäre friedenspolitische Aufgabe wahr, deren Bedeutung überdies zunehmend ins Bewusstsein der verantwortlichen politischen Entscheidungsträger tritt.

Prozesse des Aufbaus von zivilgesellschaftlichen Strukturen sind nur begrenzt staatlich steuerbar. Der Erfolg beiderlei Handelns - desjenigen von staatlichen Amtsträgern wie desjenigen von zivilgesellschaftlichen Akteuren - hängt jedoch wesentlich davon ab, dass es sich jeweils der gleichen Zielrichtung, der gleichen friedenspolitischen, auf Gewaltprävention gerichteten "Grundphilosophie" verpflichtet weiß. Zivilgesellschaftliche Kräfte, nicht zuletzt die Kirchen, verfügen oftmals über entscheidende Potentiale, die systematisch gefördert werden müssen. Der vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eingerichtete Zivile Friedensdienst hat wichtige Akzente in dieser Richtung gesetzt, die es mit Entschlossenheit fortzuentwickeln gilt.

Die Aufwertung zivilgesellschaftlichen Engagements kommt in besonderer Weise der Stärkung solidarischer Haltungen in der Gesellschaft zugute. Hierin liegt eine bleibende Aufgabe, deren Bedeutung angesichts der veränderten Bedingungen, unter denen heute Kinder und Jugendliche aufwachsen, noch zunimmt. Insgesamt haben sich die Möglichkeiten verringert, Erfahrungen mit praktischer Solidarität zu sammeln und soziale Verantwortung wahrzunehmen.

Es ist bei jungen Menschen eine hohe Bereitschaft vorhanden, freiwillig längere soziale Dienste zu übernehmen. Die Zahl der Stellenangebote reicht jedoch nicht aus. Das Erlernen friedlicher Formen der Konfliktlösung, der lebenspraktische Umgang mit behinderten, gebrechlichen und leidenden Menschen, der Einsatz eigener persönlicher Ressourcen zugunsten hilfebedürftiger Menschen kann durch geeignete und begleitete Hilfeeinsätze eingeübt und erlernt werden. Daher sind im Zusammenhang mit der Erörterung von Fragen zum Wehrdienst auch die Zusammenhänge dieser Diskussion mit den verschiedenen Formen eines sozialen Dienstes für die Gemeinschaft, der Förderung eines breiten Angebotes an Möglichkeiten zu solchen Diensten im In- und Ausland sowie deren Finanzierung und die entsprechenden friedenspädagogischen Begleitmaßnahmen zu berücksichtigen. Neben der Einübung von Möglichkeiten einer konstruktiven Bearbeitung lösbarer Konflikte und Probleme ist auch das Erlernen des Umgangs mit und das Ertragen-Lernen von Situationen mit unlösbaren Spannungen und Belastungen sinnhaft und sinnstiftend. Das kann vor der illusionären Hoffnung bewahren, dass alle Probleme lösbar seien, und sei es mit Gewalt.

II. Die veränderte außen- und sicherheitspolitische Situation Deutschlands

1. Im Gegensatz zur militärischen Konfrontation zweier hochgerüsteter Blöcke mit einem erheblichen Risiko kriegerischer Eskalation, wie sie während des Kalten Krieges in Europa herrschte, besteht derzeit auf Grund der längeren Vorwarnzeiten vor einer Zuspitzung der Sicherheitslage keine unmittelbare Gefährdung Deutschlands mehr. Russland und seine Verbündeten in der GUS sind nicht länger ideologisch motivierte potentielle Kriegsgegner, die ein Gesellschaftssystem auch mit gewaltsamen Mitteln durchzusetzen bereit sind. Das ”Gleichgewicht des Schreckens”, bisher gehalten von atomaren, biologischen und chemischen Waffen ebenso wie von umfangreichen Landheeren mit großen Panzerverbänden, muss in seiner Bedeutung durch eine politische Annäherung und Abgleichung der unterschiedlichsten Interessen in internationalen Zusammenhängen immer stärker vermindert und schließlich ersetzt werden.

Andererseits bestehen neue Risiken für den Frieden und die internationale Sicherheit. Schon Anfang der neunziger Jahre wurde zu unserem Erschrecken offensichtlich, dass unter den veränderten Bedingungen auch in Europa regionale Konflikte wieder militärisch ausgetragen werden. Zunehmend werden Minderheiten und deren Rechte instrumentalisiert, ihre berechtigten Interessen als Vorwand für gewaltsame Auseinandersetzungen in Anspruch genommen. Die Auseinandersetzungen der Zukunft werden verstärkt um Rohstoffe wie Wasser, Öl oder technische Intelligenz geführt werden. In den meisten Fällen handelt es sich um Konflikte, deren dauerhafte Lösung durch Waffengewalt noch erschwert würde. Nukleare Proliferation und Terrorismus, unter Umständen auch mit atomaren, biologischen und chemischen Waffen, stellen vor zusätzliche Herausforderungen.

Deutschland übernimmt im zusammenwachsenden Europa zur Zeit in vielen Bereichen neue Verantwortung. Dies gilt auch für die Außen- und Sicherheitspolitik. Eingebunden in ein Netzwerk internationaler Organisationen und zwischenstaatlicher Zusammenschlüsse von der Europäischen Union über die NATO, die OSZE bis hin zu den Vereinten Nationen wird Frieden heute und in Zukunft durch eine Vielzahl von Mitteln gesichert werden müssen. Dabei spielen alle Politikbereiche eine wesentliche Rolle, ob Finanzpolitik, Wirtschafts-, Umwelt- oder Sozialpolitik, sie alle müssen dazu beitragen, Interessengegensätze auszugleichen, so dass eine zunehmende Zahl von Menschen in den Genuss von Menschenrechten, Freiheit, Gleichheit und Demokratie kommt.

Mit der gewachsenen Interdependenz einher gehen Versuche, internationale Regelungsmechanismen zu etablieren, die den Einsatz von Militär wirklich zur ultima ratio machen. Diese Entwicklung kann man fördern durch noch mehr Verflechtungen in zwischenstaatlichen und überstaatlichen Institutionen, die gemeinsam gegründet auf Grundrechten, Verträgen und Abmachungen neue blutige Auseinandersetzungen so weit als möglich verhindern. Konsequent zu Ende gedacht, muss dies auch eine vielfältige Vernetzung von Militär und zivilstaatlicher Gewalt zur Folge haben, die die neu entstehende Ordnung gemeinsam zu stabilisieren in der Lage sind. Dabei muss es mehr als in der Vergangenheit darum gehen, Konflikterken- nungs- und Konfliktlösungskompetenzen zu schaffen und zu stärken, die den Einsatz von Waffengewalt möglichst ausschließen sollen.

2. Die militärische Absicherung grundlegender kollektiver Rechtsgüter muss aus christlicher Sicht und unter dem geltenden Völkerrecht ein allerletztes Mittel der Staatengemeinschaft werden, das einzusetzen nur unter strengster Zurückhaltung zulässig ist. Militärischer Einsatz führt immer zu Tod und Zerstörung, auch wenn "moderne Kriege" ein scheinbar opferarmes Szenario suggerieren.

Eine zentrale Aufgabe besteht darin, das Völkerrecht fortzubilden und insbesondere so präzise wie möglich zu bestimmen, wann ein so massives Unrecht vorliegt, dass es zu einem bewaffneten Eingreifen zum Schutz grundlegender Menschenrechte keine gewaltärmere Alternative mehr gibt. Solche Kriterien und ihre konsequente Anwendung sind ein wichtiges Signal an Diktatoren, dass der Schutz der Menschenrechte nicht vor nationaler Souveränität halt machen kann (vgl. hierzu die Erklärung des ZdK "Humanitäre Intervention? Rechtsethische Überlegungen" vom 24. Februar 2000).

Die kritische Lage auf dem Balkan hat in den letzten 10 Jahren bewiesen, dass die internationale Staatengemeinschaft - wenn auch noch äußerst mühsam - in der Lage ist, Konflikte zumindest einzugrenzen und sie mit internationaler Kontrolle auf gewaltärmere, wenn schon nicht friedliche Auseinandersetzungen zurückzuführen. Dabei bleibt mehr als zweifelhaft, ob solche Aktionen wirklich dauerhaften Frieden herbeiführen, wie die Beispiele Bosnien-Herzegowina und Kosovo auf erschreckende Art und Weise belegen. In beiden Konfliktregionen erweist es sich als unmöglich, zügig eine politische Lösung durchzusetzen und einen Abzugszeitpunkt für die internationalen Streitkräfte und die zivilen Helfer festzulegen.

Aus den Kriegen der letzten 30 Jahre läßt sich ablesen, dass sich Unterdrückung auf Dauer nicht mit militärischer Gewalt aufrechterhalten läßt. Frieden ist allerdings mehr als nur Abwesenheit von Krieg oder Bürgerkrieg.

Landesverteidigung - auch im Rahmen von Bündnissen - spielt gegenwärtig eine geringere Rolle gegenüber regional begrenzten gewaltsamen Auseinandersetzungen und deren Beendigung, äußerstenfalls durch bewaffnetes Eingreifen. Das erfordert ein Umdenken in vielfacher Hinsicht: politisch, militärisch, diplomatisch und technisch. Vor allem aber darf nichts unversucht bleiben, den Einsatz von Gewalt mehr als bisher zu ächten. Weder die These vom "Kampf der Kulturen" noch Differenzen unter den Weltreligionen noch die Machtkonkurrenz von Nationen und Wirtschaftsbündnissen dürfen Vorwand für neue Kriege sein. Dies stärker als in der Vergangenheit zu verhindern ist eine mühselige Aufgabe, der sich auch katholische Christen widmen müssen.

3. Dazu gehört die Priorität entwicklungspolitischer Zusammenarbeit. Sie ist als eine unverzichtbare Aufgabe unseres Staates sittlich geboten und ökonomisch sowie friedenspolitisch vernünftig. Deutschland muss einen stärkeren Beitrag dazu leisten, dass die Staaten der Welt im Zuge der Globalisierung zu einer Verantwortungsgemeinschaft zusammenwachsen, damit den Armen und Schwachen in allen Teilen der Welt ein Leben in Würde gesichert werden kann. Weil sich Frieden ohne Gerechtigkeit nicht erringen lässt ist Entwicklung zugleich ein ”neuer Name für Frieden” (Populorum progressio).

Entwicklungszusammenarbeit darf sich nicht an den alten Grenzen kolonialer Abhängigkeit orientieren, ebenso wenig wie an den früheren ideologischen Gräben zwischen Ost und West. Es bedarf einer Wirtschaftsund Finanzpolitik, die in sozialer Verantwortung für die gesamte Menschheit handelt. Im Sinne der Entschärfung sozialer Konflikte fordert dies gegenüber WTO, UNCTAD, OECD, IWF und Weltbank eine Politik, die sozialen Ausgleich und eine menschenwürdige Existenz für alle in den Mittelpunkt stellt.

4. An die Rüstungsexportpolitik müssen strengste Maßstäbe angelegt werden. Rüstungsgüter sind keine Waren im herkömmlichen Sinne. Waffenlieferungen, gleich ob es sich um großtechnisches Gerät oder um Kleinwaffen handelt, können Frieden nicht begründen, bestenfalls absichern. Und selbst das ist nur möglich, wenn politisch eine Lösung eines Konfliktes zumindest absehbar ist. Ohne eine solche Perspektive trägt gerade die Proliferation von Waffen dazu bei, dass große Konfliktregionen, z.B. in Afrika, nicht zur Ruhe kommen. Diese Erkenntnis muss Konsequenzen haben. Der menschliche Erfindungsgeist, immer wieder erfolgreich angewandt in der Entwicklung modernster Waffen, muss dringend in politisch-diplomatischer Hinsicht dazu genutzt werden, die vorhandenen Waffenarsenale zu kontrollieren und weitestmöglich abzubauen.

III. Sicherheitspolitische Aufgaben und Anforderungsprofil für die Fähigkeiten deutscher Streitkräfte

Auch unter den beschriebenen veränderten sicherheitspolitischen Bedingungen bleibt es eine zentrale Aufgabe des Staates, eine weitsichtige und mit möglichst geringen Risiken für seine Bürger verbundene Sicherheitsvorsorge gegen einen weiterhin denkbaren bewaffneten Angriff auf die Bundesrepublik Deutschland zu treffen. Dazu ist es erforderlich, hinreichende personelle und sächliche Mittel für eine umfassende Friedenspolitik bereitzustellen. Dabei klafft insbesondere auf dem Gebiet der Krisenprävention noch eine deutliche Lücke.

1. Für die deutschen Streitkräfte leiten sich aus dieser staatlichen Aufgabenstellung folgende Aufgaben ab:

a) Zur Garantie der Existenz und der Überlebensfähigkeit des eigenen Staates und damit zum Schutz der Bürger und ihres Territoriums hat der Staat hohe Anstrengungen zu unternehmen. Dieser Schutz kann am sichersten im Bündnis mit solchen Staaten gewährleistet werden, die gleichen demokratischen Grundsätze verpflichtet sind. Die kollektive Landes- und Bündnisverteidigung bleibt deshalb auch in Zukunft eine politische Legitimation für Aufstellung und Unterhalt deutscher Streitkräfte. Durch den Wandel der sicherheitspolitischen Lage wird kollektive Verteidigung künftig nicht mehr primär von einer möglichen, die staatliche Existenz unmittelbar bedrohenden militärischen Auseinandersetzung auf deutschem Territorium ausgehen. Wahrscheinlicher wären Konfrontationen, die auf Grund der geostrategischen Lage an anderer Stelle des Bündnisgebietes stattfinden. Die deutschen Streitkräfte müssen deswegen grundsätzlich auch zum Einsatz außerhalb Deutschlands befähigt sein.

b) Die Eintrittswahrscheinlichkeit denkbarer Konfliktszenarien läßt sich nicht sicher vorhersagen. Um krisenhafte Entwicklungen nach Möglichkeit zu verhindern, sie einzugrenzen oder sie möglichst schnell zu beenden, bedarf es präsenter, rasch abrufbarer militärischer Kräfte und Mittel mit lageangepassten Fähigkeiten.

c) Die Vorbereitungen im Frieden und deren Abstimmung auf kollektive Landes- und Bündnisverteidigung müssen so angelegt sein, dass der Staat in jeder Phase einer Krise politisch handlungsfähig bleibt. Er darf nicht durch im System angelegte "politische Sprünge" Gefahr laufen, Signale auszusenden, die einer sich politisch verschärfenden Situation nicht angemessen sind und das Gegenteil dessen bewirken könnten, was erwartet wird: Eskalation statt Deeskalation.

Deutsche Streitkräfte haben sich in Umfang und Ausrüstung an den potentiellen Gefährdungen, der Anzahl der Staatsbürger, der Wirtschaftskraft und der geographischen Lage Deutschlands zu orientieren. Sie müssen über folgende Fähigkeiten verfügen:

- Kollektive Verteidigung als Landesverteidigung im Bündnisrahmen,

- Gewaltprävention und Krisenbewältigung im NATO-, EU/WEU-Rahmen sowie in Form von Beiträgen zu Maßnahmen der VN oder OSZE,

- Teilnahme an Aktivitäten zur Förderung von Partnerschaften und Kooperationen in Bündnissen sowie außerhalb der NATO-Bündnisses,

- Rettungs- und Evakuierungseinsätze sowie

- Teilnahme an und Unterstützung von Einsätzen in Not- und Katastrophenfällen.

2. Dabei hat der Fall der kollektiven Verteidigung im Bündnisrahmen der NATO zwar eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit, aber er zöge die gravierendsten Konsequenzen nach sich. Gewaltprävention und Krisenbewältigung sind die wahrscheinlichsten Einsatzfälle mit unterschiedlichen Intensitäts- und Ausprägungsgraden sowie der Notwendigkeit zu rascher Reaktion.

Deutschland braucht deswegen Streitkräfte, die in Struktur, Umfang, Ausbildung, Ausrüstung und Verfügbarkeit für alle von ihr abzufordernden Aufgaben verwendbar sind. Eine reorganisierte Bundeswehr muss also:

- qualitativ und quantitativ der politischen Verantwortung Deutschlands im NATO-Bündnis sowie in den anderen regionalen und überregionalen Organisationen entsprechen,

- unter Berücksichtigung von Aufgaben- und Rollenverteilungen im Bündnis bei gleichzeitiger Sicherstellung der verbleibenden nationalen Souveränitätsrechte und Einflussmöglichkeiten einen substantiellen Beitrag leisten,

- zur frühzeitigen Erkennung von Krisen beitragen können,

- im Rahmen der zivil-militärischen Zusammenarbeit in Krisengebieten in der Lage sein, gestaltend am Wiederaufbau und der Wiederherstellung der gesellschaftlichen Ordnung mitzuwirken,

- dann verfügbar und einsatzbereit sein, wenn sie gebraucht wird, auch über längere Zeiträume hinweg

- einer veränderten sicherheitspolitischen Lage entsprechend ausgebildetes Personal zur Verfügung haben.

Insgesamt wird aus diesem politischen Forderungskatalog deutlich, dass im Frieden präsente Streitkräfte nicht über die gleichen Fähigkeiten verfügen können, die an Streitkräfte im Verteidigungsfall gestellt werden müssen. Es ist also zu betrachten, welchen Bedingungen das Friedensdispositiv unterliegt und wie es in ein Verteidigungsdispositiv überführt werden kann.

3. Charakteristische Merkmale für im Frieden präsente Kräfte, die zum Einsatz in Krisen geeignet sind, stellen schnelle Verfügbarkeit, hohe Flexibilität und rasche Verlegbarkeit dar. Solche Kräfte sollten so gegliedert, ausgebildet und personell besetzt sein, dass sie in ihrer Friedensgliederung direkt in Einsätze entsandt werden können. Der Umfang der im Frieden präsenten Kräfte bemisst sich an den von der Politik geforderten militärischen Fähigkeiten sowie der Frage der dafür verfügbaren Haushaltsmittel. Einschränkungen in der Finanzausstattung können dabei Auswirkungen auf die politische Handlungsfähigkeit haben. Die Sicherheitsvorsorge für die Landes- und Bündnisverteidigung darf in ihrer Wirksamkeit nicht bestimmend von der Kassenlage abhängig gemacht werden.

4. Die Fähigkeit der Streitkräfte, Präsenz, Einsatzbereitschaft und Verfügbarkeit von Truppen den politischen Forderungen flexibel und zeitgerecht anpassen zu können - die sog. Aufwuchsfähigkeit - besitzt strategische Bedeutung und wird damit zu einem Stabilitätsfaktor in Europa und für das Bündnis.

Voraussetzung für eine den politischen Forderungen nach Flexibilität entsprechende Aufwuchsfähigkeit ist eine bereits im Frieden vorhandene Grundstruktur von Mobilmachungstruppenteilen, die materiell weitgehend ausgestattet sind, personell jedoch nur über wenig Personal verfügen müssen. Sie können Bestandteil einer jeden Wehrform sein. Entscheidende Bedingungen für den Grad der Aufwuchsfähigkeit ist jedoch ein quantitativ und qualitativ bedarfsgerechtes Reservistenpotential, aus dem das erforderliche Aufwuchspersonal einberufen werden kann. Insbesondere dieses Potential ist bei einer Wehrpflichtarmee erheblich größer als bei einer Freiwilligenarmee.

In diesem Zusammenhang wird argumentiert, dass man eine geringe Aufwuchsfähigkeit hinnehmen und die kleinere Zahl mit modernster Technik kompensieren könne. Dabei wir jedoch übersehen, dass das Bereitstellen modernster Ausrüstung fürsorgliche Normalität in einem demokratischen Rechtsstaat ist. Anderenfalls würde der Staat das Leben seiner Soldaten wegen mangelhafter Ausrüstung leichtfertig auf's Spiel setzen. Allerdings muss zu modernster Technik immer auch eine ausreichend große Zahl von Soldaten treten, um den Erfordernissen der Landesverteidigung, nämlich dem physischen Schutz des Territoriums, entsprechen zu können.

Als weiteres Argument für die Hinnahme der geringeren Aufwuchsfähigkeit von Freiwilligenstreitkräften wird angeführt, dass eine zunächst ausgesetzte Wehrpflicht bei Bedarf rasch wieder eingeführt werden könne. Die mit einer solchen Lösung verbundenen Risiken sind allerdings beträchtlich:

Auch wenn davon auszugehen ist, dass die politische Warnzeit für Situationen, die zur kollektiven Bündnisverteidigung führen könnten, mehrere Jahre betragen kann, so darf dieser Zeitrahmen nicht mit der militärisch nutzbaren Vorbereitungszeit gleichgesetzt werden. Diese wird deutlich geringer ausfallen, da sich die Politik der eskalatorischen Wirkung einer so gravierenden Maßnahme wie der Wiedereinführung der Wehrpflicht bewusst sein und diese so weit wie möglich hinauszögern wird. Dann könnte es jedoch sehr spät dafür sein, die Wehrersatzorganisation zur Erfassung und Musterung aus dem Stand heraus aufzubauen und vor allem die Wehrpflichtigen so gut auszubilden, dass sie im Gefecht bestehen können und nicht wegen mangelnder Ausbildung erhöhten Gefahren für ihr Leben ausgesetzt sind.

Das mit der Aussetzung der Wehrpflicht verbundene, jeweils lageabhängige Risiko ist deswegen ausgesprochen hoch. 5. Demgegenüber hält das Wehrpflichtgesetz eine große Bandbreite situationsbezogener Maßnahmen bereit, die von der Politik flexibel, lageangepasst und politisch verträglich eingesetzt werden können. Bei all diesen Überlegungen ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Wehrdienst - sollte die Wehrpflicht beibehalten werden - eine gewisse Mindestdauer, die für eine militärisch sinnvolle Ausbildung der Wehrpflichtigen zwingend erforderlich ist, nicht unterschreiten darf und dem Zusammenhang zwischen dem strukturellen Bedarf an Wehrpflichtigen, der Dauer des Wehrdienstes und der Wehrgerechtigkeit politisch Rechnung zu tragen ist.

Aber auch zur Stabilisierung des Friedens nach einem Einsatz und zur raschen und wirkungsvollen Hilfe für die Not leidende Bevölkerung in Krisengebieten könnte die Wehrpflicht einen besonderen, zusätzlichen Stellenwert gewinnen. So wären in der neuen Struktur mobilmachungsabhängige Einheiten vorstellbar, deren Angehörige sich aus Berufen rekrutieren, die für den Wiederaufbau des Landes und dessen gesellschaftlicher und administrativer Struktur von großer Wichtigkeit sind. Zu solchen Einheiten könnten Fachleute des Verwaltungswesens oder der Justiz ebenso gehören wie Lehrer oder Experten der Finanzverwaltung. Diese Reservisten könnten schon in einer frühen Phase dort helfen, wo zivile Hilfsorganisationen aufgrund äußerer Umstände daran gehindert sind.

Diese Überlegungen sind in ein dringend erforderliches Konzept zur Ausgestaltung der zivil-militärischen Zusammenarbeit einzubringen.

IV. Kriterien für die zukünftige Ausgestaltung des Wehrdienstes

1. Christliche Friedensethik formuliert für die anstehende Neubestimmung der Rolle der Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland das entscheidende Kriterium: Sie müssen strukturell dazu beitragen, das internationale System in steigendem Maße friedensfähig werden zu lassen und einen sicheren Schutz der Menschenrechte zu garantieren. Zur Erreichung dieses Zieles stehen der Politik eine Vielzahl von Mitteln in unterschiedlichen Politikfeldern zur Verfügung. Diese sind entsprechend ihrer Bedeutung auszustatten. Dies gilt insbesondere auch für Instrumente wie die VN und die OSZE, die nur handlungsfähig sein können, wenn ihnen kompetentes Personal in hinreichendem Umfang zur Verfügung gestellt wird. Ein weiteres wichtiges Mittel deutscher Außen- und Sicherheitspolitik muß die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen sein, um die Förderung der Menschenrechte auch in Bereichen zu ermöglichen, die staatlichem Handeln versperrt sind. Streitkräfte können in diesem Rahmen nur eine begrenzte Rolle haben, sie sind niemals als ein beliebig zu wählendes Mittel zu betrachten. Die Anwendung von Gewalt bringt auch bei Einsatz sogenannter Präzisions- und Distanzwaffen immer Tod, Elend und Zerstörung über die Menschen und ist daher immer ein Skandal. Daraus folgt, dass Umfang und Struktur der Streitkräfte stets begründungsbedürftig sind. Die Aufrechterhaltung militärischer Drohpotentiale darf nicht für normal gehalten werden, Friedenspolitik muss immer auf ihren Abbau hin arbeiten.

2. Für die innere Struktur der Streitkräfte bedeutet dies, dass diese die friedenspolitische Aufgabenbestimmung abbilden muss. Dazu ist in der Bundeswehr das Instrument der Inneren Führung geschaffen worden, welches die gegebenen Strukturen von Befehl und Gehorsam in entscheidender Weise normiert. Das Konzept der Inneren Führung ist für das ZdK nicht verhandelbar. Als unverzichtbares Element der Legitimität von Streitkräften ist es an keine bestimmte Wehrform gebunden, wohl aber muss bei der politisch zu beantwortenden Frage der Wehrform berücksichtigt werden, mit welchen Auswirkungen auf das Konzept der Inneren Führung zu rechnen wäre und wie seine Prinzipien unter veränderten Bedingungen gewahrt werden können. Die Diskussion um die Wiederaufstellung von Streitkräften im neuen demokratischen Deutschland Mitte der 50er Jahre verlief unter breiter Beteiligung des Katholizismus. Dabei wurde die Legitimität des Aufbaus wie des Einsatzes von Streitkräften zum Schutz einer Rechts- und Friedensordnung an strenge ethische Kriterien gebunden. Die Eingliederung der Streitkräfte in die demokratische Verfassung war ebenso eine zentrale Forderung wie die "staatsbürgerliche Reife" der Angehörigen der Streitkräfte und die sich unmittelbar aus dem christlichen Menschenbild ableitende Unverzichtbarkeit einer ethischen Begrenzung der Gehorsamspflicht (vgl. hierzu die Erklärung des Vorsitzenden von Justitia et Pax sowie des Generalvikars des Katholischen Militärbischofs vom 24. März 2000).

Die Organisation der Streitkräfte, die Rechte und die Pflichten des Soldaten sowie dessen Selbstverständnis sind an normativen Prinzipien auszurichten:

- Die Streitkräfte unterliegen hinsichtlich Zweck und Auftrag dem Primat der demokratisch legitimierten Politik.

- Die Kontrolle der Streitkräfte geschieht durch Integration in das System der Gewaltenteilung.

- Diese Kontrolle geschieht ferner durch Integration in die freie und pluralistische Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. In der personellen Zusammensetzung der Streitkräfte muss sich der soziale und weltanschauliche Pluralismus der deutschen Gesellschaft widerspiegeln.

- Der demokratische Verfassungsstaat gewährleistet die Menschenrechte aller Bürgerinnen und Bürger als Grundrechte. Grundrechtseinschränkungen, die sich aus den Besonderheiten des Dienstes in den Streitkräften ergeben, sind begründungspflichtig.

- Der Dienst in den Streitkräften schränkt die Gewissensfreiheit nicht ein.

- Militärisches Handeln ist sowohl durch positives Recht und Gesetz als auch durch ethische Standards gebunden, die Befehlsgewalt und Gehorsamspflicht begrenzen.

- Soldaten sind Grundrechtsträger und zur wechselseitigen Anerkennung ihrer unveräußerlichen Rechte verpflichtet. Diese Verpflichtung spricht sich im Leitbild "Staatsbürger in Uniform" aus.

Zusammengenommen bilden diese politischen, rechtlichen und ethischen Vorgaben zur Schaffung demokratieadäquater Streitkräfte den Ausgangspunkt der Konzeption Innere Führung. Kern der Inneren Führung ist die Formulierung institutioneller Normen, die militärisches Handeln an die Werte des Grundgesetzes binden und die innere Ordnung der Streitkräfte an rechtsstaatlichen Prinzipien und dem Schutz der Menschenwürde orientieren. Innere Führung dient zunächst und vor allem der Limitierung militärischen Handelns durch normative Bindung. Als solche ist sie eines der wesentlichen sozialethischen Fundamente der Streitkräfte.

3. Die allgemeine Wehrpflicht stellt einen tiefen Einschnitt in die Freiheitsrechte der Bürger dar. Mit der allgemeinen Wehrpflicht sind Einschränkungen der Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Petitionsrecht oder die freie Wahl des Aufenthaltsortes verbunden. Solche Grundrechtseinschränkungen sind daher nur verfassungskonform, wenn sie als verhältnismäßig gelten können.

Hintergrund für die Regelung des Grundgesetzes in der bisherigen Form war die Bedrohung der äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland mit Beginn der Ost-West-Konfrontation. Diese fundamentale Bedrohung der gesellschaftlichen Grundordnung und der Freiheit jedes einzelnen Bürgers ließ einen Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürger schon aus sicherheitspolitischen Gründen verhältnismäßig erscheinen, weil anders der zur Verteidigung benötigte Umfang der Streitkräfte nicht gesichert werden konnte.

Die veränderte außen- und sicherheitspolitische Situation der Bundesrepublik Deutschland, ihre Bewertung und die sich daraus ergebende veränderte Aufgabenbeschreibung für die Bundeswehr rückt die Wahlmöglichkeit des Bundes bezüglich der Wehrform neu in den Blick. Denn der Bund ist in der Frage der Wehrform frei. Art. 87 a des Grundgesetzes sagt lediglich, dass es Sache des Bundes ist, Streitkräfte zur Verteidigung aufzustellen. Angesichts des mit der Wehrpflicht verbundenen Einschnittes in die Freiheitsrechte des Bürgers ist die Aufrechterhaltung der allgemeinen Wehrpflicht unter den heutigen Gegebenheiten erneut begründungsbedürftig.

Dabei kommt es nicht nur auf eine plausible sicherheitspolitische Argumentation an. In sozialethischer Hinsicht sind vielmehr auch diejenigen Effekte der jeweils gewählten Wehrform von Bedeutung, die über den militärischen Auftrag im engeren Sinn hinausreichen: In erster Linie die künftigen Realisierungsbedingungen des Konzepts der Inneren Führung und die Aussichten darauf, dass die Angehörigen der Streitkräfte auch in Zukunft in die übrige Gesellschaft integriert bleiben.

4. Auch in der veränderten außen- und sicherheitspolitischen Lage Deutschlands besteht ein Risiko militärischer Art. Aus diesem Grund ist weiterhin eine Vorsorge zur Landesverteidigung notwendig, die sinnvoll nur innerhalb eines militärischen Bündnisses zu denken ist. Der angemessene Umfang eines zu dieser Form der Verteidigung erforderlichen militärischen Beitrages ist schwer abschätzbar. Eine wesentliche Anforderung an die Struktur der Streitkräfte besteht deshalb in struktureller Flexibilität. Zugleich müssen eventuell notwendige Veränderungen möglich sein, ohne ihrerseits eskalierende Signale zu produzieren. Würde nach einer Abschaffung der Wehrpflicht ihre Wiedereinführung notwendig, wäre damit sicherlich ein eskalierendes Signal verbunden. Dieses Argument sollte bei der Frage nach der Zukunft des Wehrdienstes Beachtung finden.

Deutsche Streitkräfte müssen zukünftig nach Umfang und Struktur in der Lage sein, auf sicherer völkerrechtlicher Basis Krisenreaktionseinsätze durchzuführen. Um glaubhaft beide Aufgaben zu verbinden, dürfte die Fähigkeit erforderlich sein, auf mehr als eine Krise gleichzeitig und möglichst zügig reagieren zu können. Zur Erfüllung dieser Aufgaben werden zahlenmäßig wesentlich weniger Soldaten als bisher benötigt. Ihre Ausbildung muss hochprofessionell sein, ihre Ausrüstung signifikant verbessert werden.

5. Bisher gewinnen die deutschen Streitkräfte eine großen Teil ihres Personals über die Wehrpflicht. Zukünftig sollen sie für einen freiwilligen Dienst von Frauen geöffnet und im Umfang wesentlich verringert werden. Daraus ergibt sich die Frage nach dem Fortbestand der Wehrpflicht, die - wie weiter oben beschrieben - einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstellt. Sie ist nur dann weiter gerechtfertigt, wenn sie wesentlich besser als alle anderen Wehrformen die umfassende Aufrechterhaltung des Konzeptes der Inneren Führung, die Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft, effiziente Krisenreaktionseinsätze und nicht eskalierend wirkende Veränderungen des Streitkräfteumfanges zur Landesverteidigung ermöglicht.

Es ist nicht zu erkennen, wie anders als durch eine Wehrpflicht junge Männer aus allen gesellschaftlichen Schichten für diese Ziele erreicht werden können. Insbesondere hat die Wehrpflicht ohne Zweifel die Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft gefördert. Auch lässt sich zeigen, dass zwischen dem Wehrpflichtkonzept und den Möglichkeiten, die Prinzipien der Inneren Führung zur Geltung zu bringen, ein innerer Zusammenhang besteht. Wehrpflichtige stellen Vorgesetzte weit intensiver als Berufs- und Zeitsoldaten vor die Notwendigkeit der Begründbarkeit von Befehlen. Gerade Wehrpflichtige bilden ferner in den Streitkräften die dringend benötigten zivilen Kompetenzen ab. Zudem gewährleistet eine an dem tatsächlichen militärischen Bedarf orientierte Wehrpflicht eine einfache Veränderung des Umfangs der Streitkräfte entsprechend der sicherheitspolitischen Lage. Aus den genannten Gründen spricht unter den gegebenen Bedingungen vieles für ein Festhalten an der Wehrpflicht.

6. Ein besonderes Problem stellt in diesem Zusammenhang die Dienstgerechtigkeit dar. Nur noch ein Drittel eines wehrpflichtigen Jahrgangs leistet heute Wehrdienst. Mit der absehbaren Reduzierung der Personalstärke der Bundeswehr wird ein noch geringerer Anteil der Wehrpflichtigen eines jeden Jahrgangs benötigt werden. Es verbietet sich, mehr Wehrpflichtige zum Wehrdienst einzuberufen, als dies militärisch erforderlich ist. Dadurch steigert sich zugleich der Auswahl-Charakter derjenigen, die gezogen werden. Dies wirft angesichts der faktischen Entwicklung notwendigerweise die Frage nach der Dienstgerechtigkeit und damit verbunden auch die Frage nach der Akzeptanz der Wehrpflicht in der Gesellschaft auf. Sie wird nur dadurch zu beantworten sein, dass die mit der Ableistung des Wehrdienstes verbundenen Beeinträchtigungen finanziell und in anderer Weise möglichst weitgehend ausgeglichen werden.

Hinzu kommt: Die allgemeine Wehrpflicht hat sich inzwischen bei derzeit jeweils 130.000 Zivil- und Wehrdienstleistenden faktisch zu einem Wahlangebot zwischen Grundwehrdienst und Zivildienst verändert. Diese faktische Veränderung muss bei den anstehenden Diskussionen zur Kenntnis genommen werden. Im Sinne unserer Kriterien müssen bei der Debatte um diese Veränderung folgende Punkte beachtet werden:

- Der Erhalt des Zivildienstes bzw. der sozialen und caritativen Institutionen, die heute vom Zivildienst faktisch abhängen, ist kein hinreichender Grund für den Erhalt der Wehrpflicht.

- Andererseits ist die faktische Wahlfreiheit zwischen Wehr- und Zivildienst kein hinreichender Grund für die Abschaffung der Wehrpflicht. Vielmehr sollte sie zur Überlegung anregen, wie denn unter den veränderten Bedingungen die rechtlichen Ordnungen gestaltet werden müssen, dass sie zur Dienstgerechtigkeit beitragen.

- Dem Anliegen, junge Menschen im Sinne des Allgemeinwohls in die Pflicht zu nehmen oder wenigstens anzusprechen, gilt es nicht nur in Bezug auf die jetzt gegebene faktische Wahlmöglichkeit zwischen Wehr- und Zivildienst Rechnung zu tragen. In jedem Falle ist es eine eigene Debatte wert, wie das gemeinwohlorientierte Potential junger Menschen heute auch gesetzlich gefördert werden und einen politischen Rahmen erhalten kann.

7. Bei der Diskussion um die zukünftige Gestalt der Streitkräfte spielt die Frage der Finanzierung naturgemäß eine gewichtige Rolle. Zwei Kriterien sollten bei der Beantwortung dieser Frage Berücksichtigung finden:

Einerseits müssen die Kosten in einem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen stehen und der finanzielle Aufwand für die Streitkräfte muss stets begründbar bleiben.

Andererseits müssen Tendenzen der Rationalisierung und Ökonomisierung, denen die Streitkräfte zunehmend ausgesetzt sind, dann abgewehrt werden, wenn das Konzept der Inneren Führung bei der Bundeswehr dadurch unter Druck gerät bzw. die Struktur- und Qualitätssicherung der Inneren Führung schleichend ausgehöhlt werden.

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