Thesen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)
Die Gemeinde von heute auf dem Weg in die Kirche der Zukunft
Erklärung der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)
A. Zur Situation
Kirchengemeinden leben heute in großer geografisch, sozio-kulturell und geschichtlich begründeter Vielfalt überall dort, wo Christen und Christinnen sich zu ihrem Glauben bekennen, ihn leben und sich so als Kirche verstehen, sich regelmäßig zur Feier der Eucharistie versammeln, das Wort Gottes hören und miteinander teilen und sich bemühen, es im konkreten Alltag im Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit und für den Erhalt der Schöpfung wirksam werden zu lassen, also Gottes- und Nächstenliebe zu wecken und zu üben. Wer die Gemeinde in den Blick nimmt, muss zunächst deren Vielfalt annehmen und auf einfache Rezepte von vornherein verzichten. Mit dem letzten Konzil dürfen wir die Kirche entsprechend dem biblischen Bild als Volk Gottes begreifen, das unter Gottes Führung auf dem Weg durch die Geschichte ist. In diesem Volk Gottes sind das "gemeinsame Priestertum der Gläubigen und das Priestertum des Dienstes ... einander zugeordnet: das eine wie das andere nämlich nimmt auf je besondere Weise am Priestertum Christi teil" (Lumen gentium10) und prägt auf eigene Weise die Gestalt der Gemeinde. Im Aufbruch aus bisher gewohnten Formen zu einer ungewohnten Vielfalt von Gemeindegestalten erleben wir das jetzt ganz konkret. Die Vielfalt selbst ergibt sich aus der plural gewordenen Gesellschaft, in der die Kirche ihre Sendung wahrnimmt. Die Kirche ist nämlich berufen, Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für das Kommen des Reiches Gottes in dieser Gesellschaft zu sein. In einer pluralen Gesellschaft erfordert das vielfältige Formen des Zeugnisses. Die neue Vielfalt ist kein Grund zur Ängstlichkeit.
Heute tritt mehr und mehr ins Bewusstsein, wie wichtig katholische Verbände, kategoriale Gemeinschaften, spirituelle Bewegungen, nicht-territoriale Gemeinden und andere Orte kirchlichen Lebens sind. Auch hat die Territorialgemeinde vor allem in städtischen Gebieten zugunsten größerer Seelsorgsräume oft an Bedeutung verloren. Gleichwohl behält sie – freilich in erneuerter Form – ihre große Bedeutung als erlebbare Glaubensgemeinschaft in räumlicher Nähe, kontinuierliche Quelle des eigenen Glaubens und konkreter Ort praktisch geübter Solidarität und politischer Verantwortung.
Das Bild vieler Pfarrgemeinden ist heute neben Zeichen der Lebendigkeit und des Engagements auch geprägt von schwer auszuhaltenden Spannungen, die nur im beständigen, aufrichtigen und vertrauensvollen Dialog überbrückt werden können. Solche Spannungen bergen zugleich wichtige Chancen in sich.
– Schon die Vorstellungen ihrer Mitglieder über die Kirche gehen in ihrer jeweiligen Deutung oft weit auseinander zwischen größtmöglicher Offenheit ("Pastoral an den Rändern") und möglichst geschärftem Profil als katholische Gemeinschaft von Glaubenden ("kleine Herde Bekennender").
Die Spannung, in der kirchliche Gemeinde steht, wird in den Bildern ausgedrückt, dass Kirche, also auch kirchliche Gemeinde, gleichzeitig "Fels" und "Schiff" ist. Das, was unvereinbar scheint, wird in der Kraft des Hl. Geistes zusammengehalten, den der Herr der Kirche zugesagt hat bis zum Ende der Zeiten.
Immer wieder erliegen Christinnen und Christen der Versuchung, nur einen Pol zu sehen, um so die ihnen unerträglich erscheinende Spannung aufzulösen. Dann werden die Bilder "Fels" und "Schiff" als Kampfbegriffe gegeneinander ausgespielt. Für die einen symbolisiert z.B. der "Fels" Stabilität, Sicherheit, Bollwerk und Kontrast zu den hin und her wogenden Trends des jeweiligen Zeitgeistes. Den anderen ist eine zu starke Betonung des "Felsigen" in der Kirche ein Zeichen der Angst, der Flucht aus der Realität, des Rückzugs ins kirchliche Ghetto. Für die einen symbolisiert z.B. das "Schiff" den notwendigen Aufbruch und den Mut, die Wirklichkeit ernst zu nehmen und im Vertrauen auf den Heiligen Geist neue Ufer anzusteuern, Stürme nicht zu fürchten, einfach "unterwegs" zu sein. Für die anderen ist eine zu starke Betonung des "Seefahrerischen" in der Kirche ein Impuls zur falschen Anpassung an gefährliche Zeitströmungen, letztlich zur Preisgabe des unveränderlichen Glaubensgutes. Das "Schiff" erscheint ihnen so als Vehikel zur Flucht aus dem eigenen Glaubenszeugnis.
– Der real in den Gemeinden gelebte Glaube und die Postulate der Kirchenleitung in dogmatischen und sittlichen Fragen liegen oft weit auseinander. Glaube ist immer biografisch mitbestimmt, von Höhen und Tiefen geprägt und stets im Werden. Das eigene Lebensgefühl, die eigene Erfahrung der Gemeindeglieder wird von der Kirchenleitung oft nicht hinreichend wahrgenommen, erst recht nicht aufgenommen und auch in der sprachlichen Gestalt von Verlautbarungen nicht ausreichend berücksichtigt. Dies führt nicht selten zur Entfremdung zwischen Teilen des Kirchenvolks und der Kirchenleitung und damit zu einem bedauerlichen Autoritätsverlust des kirchlichen Amtes in wichtigen Fragen. Viele Christinnen und Christen spüren allerdings auch selbstkritisch, dass zwischen ihrem konkreten Leben und dem, was die Kirchenleitung zu Recht einfordert, eine Kluft besteht.
– Der zunehmende Mangel an Priestern gefährdet in vielfältiger Weise die Existenz vieler Gemeinden als sakramentaler Gemeinschaft. Andererseits haben sich selten zuvor so viele Frauen und Männer in Kirchengemeinden unter hohem Einsatz von Kraft und Zeit engagiert und dabei manche Aufgaben übernommen, die früher ganz selbstverständlich von Pfarrern und Kaplänen wahrgenommen wurden. Dies stößt neue, positive Entwicklungen an, kann aber auch leicht zu Rollenunsicherheit bei Priestern und Laien führen. Neben der Freude am kirchlichen Einsatz erleben nicht wenige Laien, dass sie schnell verdächtigt werden, den Priester (der gar nicht am Ort lebt) verdrängen und sich priesterliche Funktionen (die sehr weit ausgedehnt werden) anmaßen zu wollen. Manche Frustration der Gemeindemitglieder ist auch dadurch begründet, dass ihr Rat, ihre im Leben erworbene Glaubens- und Sachkompetenz oft nicht hinreichend ernst genommen werden, obwohl dies dem im II. Vatikanischen Konzil geforderten Miteinander von Amt und Laien widerspricht. Gerade die aktuellen Entwicklungen verschiedener kirchlicher Verbände, Frauen und Männer zur geistlichen Begleitung auszubilden und einzusetzen, ist als bedeutender Schritt zu werten hin zu einer Kirche, welche die Charismen und Kompetenzen von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Frauen und Männern wertschätzt
B. Thesen
Das ZdK will sich mit den folgenden Thesen an der gegenwärtigen Diskussion über den zukünftigen Weg der Kirchengemeinden beteiligen.
1. Öffnen der Gemeinden – wider die Gefahr der Milieuverengung
Jeglicher Milieuverengung, etwa auf die regelmäßigen Gottesdienstteilnehmerinnen und -teilnehmer, ist durch größere kirchliche Lebensnähe zu anderen Milieus (nur teilweise kirchlich Sozialisierte, sogenannte "Kirchenferne" vor allem unter jüngeren Menschen) zu begegnen. Hierzu sind Orte und Gelegenheiten zur offenen Begegnung nötig, die der Pflege auch dann bedarf, wenn daraus nicht eine dauerhafte größere Nähe zur Gemeinde folgt. Gemeinde muss einen einladenden Charakter haben und jede Chance wahrnehmen, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die mit ihr in Kontakt kommen wollen. Zugleich müssen sich die Glieder der Gemeinde fragen, ob sie bereit sind, in anderen, nichtkirchlichen Milieus durch ihre Vertreterinnen und Vertreter gegenwärtig zu sein. So ist Gemeinde nicht nur ein Ort, zu dem andere kommen können, sondern zugleich eine Gemeinschaft vor Ort, die auf andere zugeht.
2. Raum für Lebensgeschichte und Biografie aus der Kraft des Glaubens – wider einen umfassenden Regelungsanspruch
Die Gegenwart ist von einem starken Trend zur Individualisierung geprägt, die neben der Gefahr, sich selbst zum Maß nehmen zu wollen, allerdings auch die Chance zur persönlichen Glaubensentfaltung umfassen kann. Wenn Menschen ihre eigene Lebensgeschichte (die Höhepunkte ihres Lebens, aber auch die schwierigen Situationen wie etwa Schwangerschaftskonflikt, schwere Krankheit, Tod naher Angehöriger, Zerbrechen der Ehe, Arbeitslosigkeit, Armut im Alter) als Geschichte mit Gott erfahren sollen, muss es der Gemeinde gelingen, deren Situation ernst zu nehmen, sich davon berühren zu lassen und mit ihrer guten Botschaft die Menschen so anzurühren, dass sie Glaube zuerst als Hilfe zum Leben erfahren und nicht als Geflecht von zahlreichen, alles regelnden Lehrsätzen, Geboten und Verboten, die sie als lebensfremd und daher sie nicht betreffend und oft als unangemessen einengend empfinden.
Der Verweis auf zuständige kirchliche Einrichtungen, so hilfreich er auch sein mag, ersetzt nicht die Sorge der Gemeinde und ihrer Glieder für die persönliche Annahme und das persönliche Gespräch, bei dem geduldiges, zugewandtes Hören, nicht Belehrung im Vordergrund steht. Die unaufdringliche Begleitung durch Personen des Vertrauens muss künftig noch mehr als bisher Hand in Hand gehen mit der Erfüllung karitativer Dienste. Die persönliche Kompetenz der Betroffenen wird dadurch stärker respektiert. Es wird zugleich dem Eindruck von Kirche als kühl distanzierter Großinstitution entgegengewirkt. Dies wird aber nur in einem persönlich überschaubaren Bereich gelingen, der Vertrauen zueinander ermöglicht, und bei wachsender Sensibilität aller Gemeindeglieder für die jeweils Nächsten. Die Kirchengemeinde sollte sich daher zur "Gemeinschaft von Gemeinschaften" entwickeln, die aus dem Hören auf das Evangelium Zusammenhalt und Kraft gewinnt. Insgesamt sind die verschiedenen Biografien der Menschen als Anknüpfungspunkte anzusehen und im Sinne einer "nachgehenden" (statt "wartenden") Pastoral, die die Menschen in ihrer Würde als von Gott Berufene und Geführte begreift, noch stärker zu beachten.
3. Vielfalt der Gruppen als Chance – wider den Zwang zu gemeindlicher Uniformität
In vielen Gemeinden gibt es verschiedene kirchliche Gruppen und Verbände, die für das Leben einer Gemeinde wichtig und wertvoll sind. Sie stellen eine Herausforderung dar, den Grundsatz der Subsidiarität auch auf ihrer Ebene zu leben und zugleich im Dialog ein "Netzwerk des Vertrauens" zwischen den Gruppierungen zu knüpfen, so dass für alle das Ganze im Blick bleibt. Gerade angesichts der Veränderungen in den Gemeinden, die u.a. dadurch gekennzeichnet sind, dass viele Gemeinden zu Pfarrverbänden zusammengefasst werden, kommt den kirchlichen Verbänden in den Gemeinden eine besondere Bedeutung zu. Einem Verband anzugehören bedeutet, sich mit den gemeindlichen und den verbandlichen Zielen zu identifizieren und diese auch über die gemeindlichen Grenzen hinaus kontinuierlich mitzutragen; und umgekehrt kann die gemeindliche Arbeit durch diese Perspektiven geprägt werden. Hier liegt die Brückenfunktion von Verbänden gerade bei der Bildung von neuen Pfarrverbänden.
Die verschiedenen Gruppierungen und Verbände bieten auch den Nichtgottesdienstteilnehmerinnen und -teilnehmern die Chance, auf dem Weg solidarischen Handelns in Projekten und Aktionen ihren eigenen Glauben und die Kirche wieder neu zu entdecken. Viele sind bereit, in Projekten mit überschaubarem Aufwand und voraussehbarem Erfolg auf begrenzte Zeit mitzuarbeiten, wenn ihnen nicht zugleich der Nachweis ihrer Integration in und Identifikation mit Kirche abverlangt wird, den sie aus vielerlei Gründen (z.B. schlechte Erfahrungen mit oder falsche Vorstellungen von "Kirche", Angst vor Bindung und Vereinnahmung, Schuldgefühle und Unsicherheiten, Entfremdung) derzeit nicht erbringen können.
4. Gemeinden als Orte öffentlich wirksamen Gottesglaubens – wider einen religiösen Rückzug ins Private
Der Zug der Zeit zur Privatisierung macht auch vor dem Glauben nicht Halt. Der Slogan "Glaube ist Privatsache" hat nicht nur in Teilen der Gesellschaft Konjunktur. Davor resignieren auch manche kirchliche Kreise und reden einem Rückzug der Kirche aus der vermeintlich gottlosen Gesellschaft und ihren Strukturen das Wort.
Demgegenüber ist festzuhalten: Glaube hat unverzichtbar eine öffentliche Dimension, indem er die Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums interpretiert und die Welt aus dieser Sicht mitgestaltet. Wenn der Wille Gottes auch "auf Erden" geschehen soll, muss die Kirchengemeinde als Ganzes und in ihren Gliedern als Anwältin für Gerechtigkeit, Gleichberechtigung von Frauen und Männern, Solidarität und Frieden öffentlich auftreten. Dadurch wird deutlich, dass praktizierter Glaube Anspruch auf öffentliche Präsenz hat, da auch das öffentliche Leben in Staat und Gemeinde gelebter Werte von Gestaltungskraft bedarf. In manchen Gemeinden ist insoweit eine zu große Zurückhaltung und ein Zug zu innergemeindlicher Introvertiertheit spürbar.
5. Gemeinden in der Mitverantwortung und Mitentscheidung aller – wider eine Missachtung der Kompetenz des ganzen Gottes-volkes
Erfreulich viele Frauen und Männer haben die Leitidee des II. Vatikanischen Konzils, dass jede und jeder vom Herrn selbst in Taufe und Firmung zum Apostolat in Kirche und Welt berufen ist, in ihre Bereitschaft umgesetzt, die gemeinsame Verantwortung in den Gemeinden zu übernehmen. Diese ureigene Kompetenz von Laien, die – verglichen mit den Trägern des kirchlichen Amtes – keine "Christen und Christinnen zweiten Ranges" sind und über eine andere Lebenserfahrung aus Beruf, Ehe und Familie etc. verfügen als die Träger des Amtes, wird bisher strukturell zu wenig anerkannt und genutzt.
Demokratie ist unlöslich mit der lebenswichtigen Erfahrung der Menschen verbunden und ist Teil ihres kulturellen Selbstverständnisses. Partizipation, Dialog, Selbstverantwortung, Freiheitlichkeit und Gewaltenteilung sind Werte, die das persönliche und soziale Leben der Menschen prägen. Christinnen und Christen, die in dieser gesellschaftlichen Wirklichkeit leben, machen jedoch, wenn sie sich in ihrer Kirche engagieren wollen, vielfach die Erfahrung, dass die jetzige Gestalt der Kirche dem genannten individuellen, kulturellen und gesellschaftlichen Selbstverständnis entgegensteht.
Die Möglichkeiten wirksamer Partizipation auch an Entscheidungen in der Gemeinde müssen daher rasch strukturell erweitert und praktisch verbessert werden. Die konziliare Forderung nach Mitverantwortung der Laien, die auch Papst Johannes Paul II. bekräftigt, ist ohne Möglichkeit zur Mitentscheidung eine Zumutung. Mitentscheidung ist auf der Handlungsebene das, was auf der Ebene der Meinungsbildung der Dialog ist.
Die Kirchenleitung kann nicht auf die Lebens- und Glaubenskompetenz der Laien strukturell in Entscheidungsprozessen in den Gemeinden und damit folgerichtig auch auf allen kirchlichen Ebenen und im konkreten Lebensvollzug einer Kirchengemeinde verzichten. Dabei sind Weltdienst und Heilsdienst nicht "Revierabgrenzungen" zwischen Amtsinhabern und Laien, sondern nur unterscheidbare Akzente des einen Dienstes der ganzen Kirche, den Menschen die frohe Botschaft von der Nähe Gottes spirituell, sakramental und handfest-praktisch glaubwürdig zu vermitteln. Um der gewandelten Stellung von Frauen in Kirche und Gesellschaft gerecht zu werden und um die Mehrheitsverhältnisse der Mitglieder der Kirche entsprechend zu gewichten, ist es unabdingbar, gerade Frauen auch an zentralen Entscheidungen in den Pfarrgemeinden gerecht zu beteiligen.
Eine deutlich verstärkte Partizipation der Laien an kirchlichen Entscheidungsprozessen und Handlungsweisen würde außerdem auch der Sensibilität heutiger Menschen für Menschenwürde, Gleichheit und Geschwisterlichkeit entsprechen, Werten, die immerhin vom Christentum mitgetragen und mitgeformt wurden und Eingang in alle Verfassungen freier Staaten gefunden haben.
6. Heraus aus den Verlegenheitslösungen wegen des Priestermangels – wider die Gefährdung der sakramentalen Mitte der Gemeinde
Heute und auf absehbare Zeit nimmt die Zahl der Priester in Deutschland ab. Dies hat zur Folge, dass sich immer häufiger Gemeinden mit Priestern im mehrfachen Leitungsdienst begnügen müssen, wie umgekehrt die Zahl der Priester wächst, die zwei und mehr Gemeinden vorstehen sollen. Für viele Gemeinden wird damit der eigene Priester, der der Feier der Eucharistie vorsteht und dabei einen sakramentalen Dienst an der Einheit leistet, zu einer theologischen Fiktion ohne Bezug zur Realität.
Gleichzeitig stellt es gerade für Priester, die ihren priesterlichen Dienst als Einheit leben möchten, eine unzumutbare Überforderung dar, immer noch mehr Gemeinden durch die Spendung der Sakramente "versorgen" zu müssen. Wie soll der Trend zu immer weniger Priestern aufgehalten werden, wenn der Beruf vor Ort für junge Männer immer seltener in seiner Einheit sichtbar wird und kaum mehr lebbar erscheint? Geistliche Berufung wird vor allem dort wachsen können, wo das Klima der Gemeinde sie stützt.
Der Priestermangel trifft die sakramentale Mitte der Gemeinde durch Mangel an Eucharistie. Das ZdK erinnert an seinen – leider bisher wirkungslosen – Vollversammlungsbeschluss vom 18.11.1994, die kirchenrechtlich zwingende Verbindung von Ehelosigkeit und Priesteramt um der Zukunft der Gemeinden willen ernsthaft zu überdenken. Das ZdK erinnert ebenfalls an die Forderung der Synode der deutschen Bistümer zur Zulassung von Frauen zum Diakonat.
7. Zukunft gewinnen durch die Kompetenz lernender Gemeinden – wider die Fixierung auf den Status quo
In den meisten Bistümern Deutschlands sind Überlegungen zu veränderten pastoralen Planungen im Gange.
Dabei ist insgesamt das ernsthafte Bemühen anzuerkennen, den Priester von administrativen Aufgaben weithin zu entlasten und verstärktes Vertrauen in die Kompetenz und Eigenverantwortung aller Getauften und Gefirmten zu setzen. Auch wird die seelsorgliche Arbeit im Team (Priester, Diakone, Pastoral- und Gemeindereferentinnen und -referenten) vielfach durch eine Präzisierung der jeweiligen Aufgabenfelder erleichtert. Für die Arbeit der ehrenamtlich tätigen Frauen und Männer in den Gemeinden ist genügend Möglichkeit zur Fort- und Weiterbildung zu geben.
Gleichwohl erscheint manches noch allzu sehr auf die "Verwaltung des Priestermangels" fixiert: Ohne Differenzierung der Gemeindeleitung in eigentliche und unverzichtbare Aufgaben des Priesters und solche, die auch von entsprechend ausgebildeten und beauftragten hauptamtlichen oder ehrenamtlichen Laien gut geleistet werden können, wird den Anforderungen heutiger Pastoral unter veränderten Bedingungen nicht genügt. Vielmehr ist der Mut gefordert, den Grundsatz der Katholischen Soziallehre von der Subsidiarität auch hier leitend werden zu lassen und nicht den Gedanken einer möglichst straff organisierten, administrativ und disziplinär durchzusetzenden zentralen Führung. Wichtig ist, die gewählten Gremien an den pastoralen Planungen des jeweiligen Bistums zu beteiligen.
Bei alledem ist darauf zu achten, dass der Gemeinde und den in ihr tätigen Seelsorgerinnen und Seelsorgern geistliches Wachstum gelingen kann. In der Aus- und Fortbildung aller hauptamtlichen Frauen und Männer in der Seelsorge ist jeglichen Ansätzen von neuen und verdeckten Klerikalismen zu wehren.
8. Den Auftrag zur Überwindung der Spaltung leben – wider konfessionelles Kirchturmsdenken
Entsprechend dem Auftrag des Herrn, "eins zu sein", ist in den Kirchengemeinden die ökumenische Zusammenarbeit im gottesdienstlichen und sozialen Bereich noch zu verstärken.
Dabei ist die sensible Wahrnehmung des Lebens der Schwestergemeinde anderer Konfession bedeutsam, damit Räume gelebter Ökumene vor Ort entdeckt und ausgeweitet werden können. Christinnen und Christen verschiedener Konfessionen sollten all das aus ihrer gemeinsamen Sendung heraus gemeinsam tun, was heute verantwortbar gemeinsam getan werden kann. Sie sollten weiterhin in ökumenischer Ungeduld und zugleich in Treue zu ihrer Kirche den Impuls der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre aufnehmen und weitere Schritte auf dem Weg sichtbarer Einheit einfordern und praktizieren.
C. Schlussbemerkung
Bei allen erkennbaren Schwierigkeiten in vielen Gemeinden und den Herausforderungen der gewandelten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kirchlichen Handelns in unserem Land besteht kein Anlass zu Ängstlichkeit und Kleinmut oder zum Rückzug in die "überwinternde" kleine Herde. Auch unsere Zeit ist Gottes Zeit.
Beschlossen von der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken am 25. November 2000