Juden und Judentum im neuen Katechismus der Katholischen Kirche - Ein Zwischenruf -

Ein Zwischenruf

Erweiterte Dokumentation

 

Inhalt

I. Vorwort 5

II. Dokumentation Juden und Judentum im neuen Katechismus der Katholischen Kirche - Ein Zwischenruf 6

III. Stellungnahmen
Eugene Fisher Jüdische Tradition und Neues Testament nicht gegeneinander ausspielen 13

James L. Heft Gemeinsame Herausforderung durch die säkulare Welt 23

Alan Mittleman Dialektisches Ja und Nein zu Israel 30

Michael Signer Positive Stellungnahmen der Päpste nicht berücksichtigt 32

 

I. Vorwort

"Wenn der Katechismus der Katholischen Kirche direkt auf das Judentum zu sprechen kommt, ist anzuerkennen, daß er nicht hinter die Aussagen des Konzils über die Juden und über das Verhältnis der Kirche zum Judentum zurückfällt ... In anderen wichtigen Punkten bleibt er hinter den Erwartungen zurück, die man heute an ihn stellen muß." Dieses Zeugnis stellt der Gesprächskreis "Juden und Christen" dem Weltkatechismus von 1992 für seine Darstellung der Juden und des Judentums aus. Der am 29. Januar 1996 veröffentlichte "Zwischenruf" zum Katechismus hat bei zwei jüdischen und zwei katholischen Wissenschaftlern aus den Vereinigten Staaten, die auf unsere Einladung hin Stellung genommen haben, ein starkes Echo gefunden. Trotz grundsätzlicher Übereinstimmung mit ihren Dialogpartnern in Deutschland setzen die amerikanischen Autoren unterschiedliche Akzente, sie bereichern und korrigieren unseren "Zwischenruf". Vor allem sind wir ihnen dankbar, daß sie die Bewertung des römischen Dokumentes in den größeren Zusammenhang rücken: Wie steht es in Rom, in den Vereinigten Staaten und in Deutschland mit der Weiterentwicklung der christlich-jüdischen Beziehungen und ihrer theologischen Vertiefung dreißig Jahre nach der bahnbrechenden Konzilserklärung "Nostra aetate"?

Wir danken unseren amerikanischen Dialogpartnern und der Übersetzerin Johanna Schmid aus Augsburg.

Prof. Dr. Hanspeter Heinz, Augsburg Vorsitzender des Gesprächskreises

II. Dokumentation

Juden und Judentum im neuen Katechismus der Katholischen Kirche

- Ein Zwischenruf -

Im Jahr 1992 ist der "Katechismus der Katholischen Kirche" (KKK) erschienen. Der Gesprächskreis "Juden und Christen" beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat den Katechismus unter dem Gesichtspunkt durchgesehen, wieweit hier die Bemühungen um eine neue Sicht des Judentums ihren Niederschlag gefunden haben.

Der KKK steht in einer jahrhundertelangen Katechismus-Tradition der Kirche. In den Katechismen fanden Christen von jeher eine kurze Zusammenfassung der christlichen Lehre für ihre Zeit. An Katechismen haben Priester und Laien ihr Grundverständnis des christlichen Lebens gebildet. Im Gemeinde, Schule und Familie waren Katechismen von großer pastoraler Bedeutung.

Wir sehen heute, daß die Behandlung Israels und des Judentums in vielen Katechismen, die vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil erschienen sind, unzureichend war. Die Katechismen hatten judenfeindliche Tendenzen, machten Juden unberechtigte Vorwürfe, stellten die jüdische Lehrtradition und das jüdische Leben in der Bibel verzerrt dar und nahmen das nachbiblische Judentum in seiner Eigenständigkeit nicht wahr. Sie bildeten eine wichtige Stütze für die christliche Verachtung des Judentums, die sich so verhängnisvoll ausgewirkt hat.

In der Erklärung "Nostra aetate" des Zweiten Vatikanischen Konzils vom 28.10.1965 hat die Kirche ihr Verhältnis zum Judentum neu bestimmt. Sie erinnerte sich, daß sie mit dem Judentum geistlich verbunden ist. Seitdem ist die Kirche auf dem Weg, das Judentum besser zu verstehen und ihr eigenes Verhältnis zum Judentum neu zu definieren. Wichtige Schritte auf diesem Weg waren seitdem die "Richtlinien und Hinweise für die Durchführung der Konzilserklärung 'Nostra aetate', Artikel 4", die von der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum am 1. Dezember 1974 herausgegeben wurden. In dieselbe Richtung gehen die "Hinweise für eine richtige Darstellung von Juden und Judentum in der Predigt und in der Katechese der katholischen Kirche", die von derselben vatikanischen Kommission am 26.04.1985 publiziert wurden. Papst Johannes Paul II. hat das Judentum in vielen Ansprachen und anläßlich des Besuchs jüdischer Gemeinden auf seinen Pastoralreisen neu gewürdigt.

Der neue "Katechismus der Katholischen Kirche" mag sich in Inhalt und Form, in Intention und Adressatenkreis von seinen Vorgängern unterscheiden. Aber auch er will "sichere Norm für die Lehre des Glaubens" und darüber hinaus "sicherer authentischer Bezugstext für die Darlegung der katholischen Lehre und in besonderer Weise für die Ausbildung der örtlichen Katechismen" (Johannes Paul II. in der einführenden Apostolischen Konstitution) sein. Darum ist seine Bedeutung für die Kirche der Gegenwart nicht zu unterschätzen. In der zur Zeit geführten Diskussion um den KKK würde auf positive Momente, aber auch auf Schwächen hingewiesen. Auch wir haben zu unserem Thema eine differenzierte Stellungnahme vorzutragen.

Wenn der KKK direkt auf das Judentum zu sprechen kommt, ist anzuerkennen, daß der KKK nicht hinter die Aussagen des Konzils über die Juden und über das Verhältnis der Kirche zum Judentum zurückfällt. Daß Jesus Jude war und die Thora positiv gewürdigt hat (423, 577), wird klar gesagt. Die Pharisäer und das Verhältnis zu ihnen werden differenziert dargestellt (579, 595). In dem Abschnitt "Das Verhältnis der Kirche zum jüdischen Volk" (839) zitiert der KKK ausdrücklich das Konzil und erwähnt die Unwiderrufbarkeit der Erwählung Israels (121, 839). Vor allem wird eindeutig gesagt: Die Juden sind für den Tod Jesu nicht kollektiv verantwortlich (597). Gelegentlich wird sogar auf die Bedeutsamkeit heutigen jüdischen Lebens für ein besseres Verständnis der christlichen Liturgie hingewiesen (1096). - Diese und andere Aussagen sind ein hoffnungsvolles Zeichen für die Ernsthaftigkeit, mit der die Kirche ihr Verhältnis zum Judentum erneuern will.

In anderen wichtigen Punkten bleibt der KKK aber hinter den Erwartungen zurück, die man heute an ihn stellen muß. Es fehlt eine angemessene positive Darstellung des Judentums als der älteren Schwester des Christentums. Von der Gottes- und Nächstenliebe als Zentrum jüdischer Existenz, von der Wertschätzung der Thora, von der Heiligung des göttlichen Namens und von der Heiligung des Alltags auch im nachbiblischen Judentum ist nicht die Rede. Darüber hinaus fehlt im KKK das Bemühen, das Jüdische im Christentum aufzuzeigen; wenn aber auf das Jüdische im Christentum hingewiesen wird, geschieht das so, daß das Jüdische dabei seinen Eigenwert verliert oder zur Vorstufe des Christentums wird. Das Wort von Papst Johannes Paul II. beim Besuch der großen Synagoge Roms am 13.04.1986 scheint hier vergessen zu sein: "Die jüdische Religion ist für uns nicht etwas Äußerliches, sondern gehört in gewisser Weise zum Inneren unserer Religion. Zu ihr haben wir somit Beziehungen wie zu keiner anderen Religion."

Der lebendige Zusammenhang zwischen Kirche und Judentum hätte sich in allen vier Teilen des KKK (Glaubensbekenntnis, Mysterien, Ethik, Gebet) aufzeigen lassen. Zwar werden zentrale Aussagen aller vier Teile, im einzelnen allerdings sehr unterschiedlich, aus dem "Alten Testament", der jüdischen Bibel, als unverzichtbarer Grundlage christlichen Glaubens und Lebens heraus entfaltet. Aber diese Aussagen werden nicht, sofern und wo sie es sind, als gemeinsame Glaubensaussagen von Juden und Christen vorgestellt. So fehlt - um nur einige Beispiele zu nennen - in den Abschnitten über die Gotteslehre ein Hinweis darauf, daß der Glaube an den einen Gott (200), der gnädig und barmherzig ist (210, 211), auch der Glaube des heutigen Judentums ist, wie es in dem von der Deutschen Bischofskonferenz herausgegebenen Katholischen Erwachsenenkatechismus von 1985 vorbildlich geschieht (63, 75). Einen entsprechend klaren Hinweis sucht man auch bei den Aussagen über den Dekalog und das Liebesgebot vergebens (2055). Die Verwandtschaft zwischen dem Vater unser (2765) und der Eucharistie einerseits und heutigen jüdischen Gebeten und Feiern andererseits ist kaum angedeutet.

Der KKK tut sich offensichtlich schwer, das nachbiblische Judentum als eigenständige heilsgeschichtliche Größe neben der Kirche und insbesondere als das Volk des von Gott nie gekündigten Bundes anzuerkennen. Das zeigt sich weniger dort, wo er ausdrücklich vom Judentum redet, als an den Stellen, wo er von der Kirche so spricht, als gäbe es das Judentum nicht, obwohl es von der Sache her geboten wäre.

Wenn der KKK auf das Verhältnis von Israel/Judentum einerseits und Kirche andererseits zu sprechen kommt, wird seine Sprache oft oszillierend und seine Theologie widersprüchlich. Es gibt Passagen, die der vom Konzil zurückgewiesenen Auffassung, wonach die Kirche, das "neue", eigentliche Gottesvolk, an die Stelle des "alten" Gottesvolkes getreten sei, nahekommen (674, 761-763). Zwar wird mit dem Neuen Testament herausgestellt, daß Israels Berufung unwiderruflich ist (839), aber an anderen Stellen entsteht der Eindruck, daß der Bund mit Israel doch gebrochen und durch den neuen, ewigen Bund Gottes in der Kirche ersetzt sei (762). Auch wie das Kommen des verherrlichten Messias davon abhängig gemacht wird, daß Jesus von ganz Israel anerkannt wird, über dem "Verstockung" liegt (Röm 11,25), ist für jüdisches Selbstverständnis schwer erträglich, weil es den Juden die Verantwortung für den Anbruch bzw. das Ausbleiben der Endzeit auferlegt (674).

Vor allem auf drei Feldern gelingt es dem KKK nicht, den Erneuerungswillen der Kirche umfassend zu realisieren. Hier bleiben Defizite, die es auch schon in früheren Katechismen gab:

1. Das Verhältnis der beiden Testamente der einen christlichen Bibel erscheint in einem undeutlichen Zwielicht. Einerseits wird der eigene Offenbarungswert des "Alten Testamentes" mehrfach bekräftigt (121-123, 129). Andererseits wird er durchgängig relativiert. Dies liegt vor allem daran, daß das Alte Testament mit Hilfe der "typologischen" Auslegungsmethode entgegen der Bejahung seines Eigenwertes (121) vorherrschend als unvollkommene Vorform ("Typos") erscheint, die erst im Neuen Testament ihre Vollkommenheit findet. Nach dieser "Typologie" ist das, was Gott im Alten Testament sagt, ganz auf das Neue Testament ausgerichtet und erhält erst hier seine Endgültigkeit (140). Das zeigt sich z.B. an der Art der Darstellung einiger wichtiger Themen, die hier kurz aufgelistet werden: Die prophetischen Verheißungen der Liebe sind im neuen und ewigen Bund in Erfüllung gegangen (2787); die Hinrichtung Jesu kündigt die Zerstörung des Tempels von Jerusalem an (586); der Wortlaut des alten jüdischen Gesetzes ist "Zuchtmeister" (Gal 3,24), um Israel Christus entgegenzuführen (708); das Gesetz ist die Vorbereitung auf das Evangelium; es liefert dem Neuen Testament "Typen", um das neue Leben nach dem Geist zu veranschaulichen (1964); das jüdische Exil steht im Schatten des Kreuzes, und der "heilige Rest", der aus dem Exil zurückkehrt, ist ein Bild der Kirche (710). Beim Augustinuswort 'Das Neue Testament ist im Alten verhüllt, das Alte im Neuen enthüllt' fehlt eine theologische Reflexion (129, 2763). - Diese Art der Typologie muß notwendigerweise dazu führen, daß die Hebräische Bibel als unvollkommene Vorform zum Neuen Testament erscheint. Die Typologie hält die beiden Testamente im KKK zusammen. Damit ist die Gefahr gegeben, daß die Geschichte des biblischen Israel und die im Judentum konstitutive Erinnerung an diese Geschichte aufgelöst wird. Darum kann die Typologie, wie sie hier angewandt wird, eine mildere Form der Enterbung Israels sein, von der die Kirche in anderen Verlautbarungen längst Abschied genommen hat.

2. Der kirchliche Antijudaismus, der seine Wurzeln in der Ablösung der frühen Kirche vom Judentum und der dadurch hervorgerufenen antijüdischen Polemik schon im Neuen Testament hat und der durch einige Vorgänger des KKK in der Kirche große Verbreitung fand, ist nicht angesprochen. Ein solches Versäumnis ist heute schwer verständlich. Ein Katechismus nach der Schoa hätte auf die Schuldgeschichte der früheren Katechismen hinweisen, ihre Auswirkungen benennen und die notwendigen Konsequenzen daraus ziehen müssen.

3. Der KKK versäumt die Chance, das erneuerte Verhältnis von Juden und Christen als Zeichen der Hoffnung inmitten einer unerlöst scheinenden Welt und als Herausforderung zu getrennt-gemeinsamer Arbeit für das Kommen des Gottesreiches zu präsentieren.

Zusammenfassend darf an die Erklärung unseres Gesprächskreises von 1988 "Nach 50 Jahren - wie reden von Schuld, Leid und Versöhnung?" erinnert werden: "Heilung unserer Wunden kann es nur geben, wenn den ersten Schritten aufeinander zu viele Schritte miteinander folgen können, miteinander im Prozeß der Trauerarbeit und der Versöhnung und damit dann auch ausgesöhnt in die Zukunft. Heilung kann es erst geben, wenn wir gemeinsam auf das Reich Gottes warten, dafür arbeiten und so 'dem Herrn Schulter an Schulter dienen' (Zef 3,9)."

III. Stellungnahmen

Eugene J. Fisher
Jüdische Tradition und Neues Testament nicht gegeneinander ausspielen

Zuerst möchte ich die Bedeutung der Aussage des Gesprächskreises, daß der "Katechismus der Katholischen Kirche" nicht hinter die Aussagen des II. Vatikanum zurückfällt, bestätigen. Der Katechismus ist ein Dokument, das nicht vor dem Konzil hätte verfaßt werden können. Es ist nicht seine Absicht, die katholisch-jüdischen Beziehungen (oder irgendeinen anderen theologischen Bereich) weiterzuentwickeln, sondern eher, die Lehre des Konzils zu vertiefen. Mit dieser Zielperspektive bezieht er sich auf Lehrdokumente der Kirche, z.B. auf die beiden Dokumente der Vatikanischen Kommission für die religösen Beziehungen zum Judentum von 1974 und 1985, die im "Zwischenruf" zitiert werden, auch auf Aussagen Papst Johannes Pauls II. Diese Dokumente stellen ihrerseits den Rahmen dar, innerhalb dessen der "Katechismus der Katholischen Kirche" interpretiert und verstanden werden muß.

In diesem Zusammenhang muß man dem neuen Katechismus zugestehen, daß er nicht nur einige Zeilen aufwendet, um die traditionelle Fehlinterpretation der kollektiven Schuld der Juden am Tod Jesu als solche zu entlarven, sondern eine katechetische Würdigung des Artikels 4 des Glaubensbekenntnisses "gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben ..." umfassend entwickelt. Die Nummern 574-598 liefern eine ausführliche Darstellung, warum der Katechet "die Juden" nicht kollektiv für den Tod Jesu schuldig machen kann. Die These von der Kollektivschuld der Juden erreichte ihren Höhepunkt im Catechismus Romanus; dies wurde anhand des Werk Jules Isaacs über die "Lehre der Verachtung" - inzwischen ein Klassiker - bekannt. Theologisch gesprochen sind alle Sünder "Urheber und Vollstrecker aller Strafen (...), die Christus erlitt", besonders wir Christen, die wir sündigen, obwohl wir wissen, daß dem so ist (598). Die Fehlinterpretation der Kollektivschuld wurde von Prof. Isaac und "Nostra Aetate" zutreffend als Herzstück der jahrhundertealten gehässigen Polemik gegen das Judentum identifiziert. Sie wird hier ausführlich widerlegt und verworfen.

Desweiteren gruppieren sich etliche Kritikpunkte des Gesprächskreises zum "Katechismus der Katholischen Kirche" um die Anwendung eines typologischen Schriftverständnisses und um eine Theologie der Erfüllung der Hebräischen Bibel im Neuen Testament. Die Kritik des "Zwischenrufs" trifft den Nagel auf den Kopf, daß hier nämlich eine Gelegenheit versäumt wurde, bei einem Komplex theologischer Schwierigkeiten die Flucht nach vorne anzutreten, die in den "Hinweisen" des Apostolischen Stuhls von 1985 sehr passend "ein Zeichen dafür, daß das Problem nicht gelöst ist" genannt wurden. Aber wenn auch der "Katechismus der Katholischen Kirche" das Problem nicht löst, sollte es meines Erachtens doch nicht als Hindernis auf dem kreativen Weg so vieler führender christlicher und jüdischer Theologen gesehen werden, die sich damit beschäftigen. Typologie und Erfüllungslehre an sich sind nicht das Problem. Typologie gibt es in der jüdischen Tradition und sogar in der Hebräischen Bibel, und Erfüllung ist eine notwendige theologische Aussage des Neuen Testaments und der christlichen Liturgie.

Meines Erachtens besteht das Problem tatsächlich in der Befürchtung, daß ein Verständnis der Hebräischen Bibel, das von Typologie oder Erfüllung ausgeht, zwangsläufig andere Interpretationsweisen wie etwa die historisch-kritische, die rabbinische oder sogar die mystische ausschließen soll. Der "Katechismus der Katholischen Kirche" drückt im Sinne der "Hinweise" von 1985 und im Sinne von "Dei Verbum" klar aus, daß er genau das nicht tut. Die Gültigkeit dieses Prinzips wird jedoch nicht dadurch aufgehoben, daß der "Katechismus der Katholischen Kirche" ihm in seiner Schriftverwendung keine konkrete Form gibt. Wir Christen können und müssen nach den Worten der "Hinweise" von 1985 lernen, "die Traditionen der jüdischen Lektüre (und ihr aktuelles Bibelverständnis, E.F.) differenziert und mit Gewinn aufzunehmen". Meines Erachtens wäre es ein Fehler, den "Katechismus der Katholischen Kirche" dahingehend zu lesen, daß er in diesem entscheidenden Punkt des Dialogs eine Tür schließe und die Integration der Dialogergebnisse in die katholische Bildungs- und Erziehungsarbeit verhindere.

Ich würde deshalb einige Formulierungen des "Zwischenrufs" kritisch hinterfragen, z.B. den Vorwurf, daß der "Katechismus der Katholischen Kirche" im biblischen Judentum Vorbilder der Geschehnisse des Neuen Testamentes sieht und "daß das Jüdische dabei seinen Eigenwert verliert oder zur Vorstufe des Christentums wird". Oder an anderer Stelle: "Diese Art der Typologie muß notwendigerweise dazu führen, daß die Hebräische Bibel als unvollkommene Vorform zum Neuen Testament erscheint". Dies könnte nur geschehen, wenn der "Katechismus der Katholischen Kirche" die einzig verfügbare Quelle für die Praxis wäre. Dem ist aber nicht so. Die Aussagen Papst Johannes Pauls II., des Apostolischen Stuhls und der Bischofskonferenzen auf der ganzen Welt sind und bleiben offizielle kirchliche Lehre. Der "Katechismus der Katholischen Kirche" beabsichtigt nicht, die normative Lehre der Kirche zu ersetzen, vielmehr sie zu vertiefen und für unterschiedliche kulturelle Situationen zu adaptieren. Ein Verständnis des neuen Katechismus als eine Art Codex Iuris Canonici der katholischen Lehre oder sogar als moderne Summa Theologica wird ihm nicht gerecht.

Ich möchte den Leser dringend bitten, ein neues Verständnis der Kategorie der Erfüllung zu erarbeiten, welches das Kerygma der Evangelien erhält, ohne gleichzeitig der allzu bekannten Gefahr anheimzufallen, Erfüllung auf Substitution zu reduzieren. Der "Katechismus der Katholischen Kirche" verurteilt laut Gespächskreis deutlich die Substitutionstheorie und würdigt die unwiderrufliche Auserwählung der Juden als Volk Gottes. Wie kann dies theologisch artikuliert und katechetisch gelehrt werden? Obwohl der Katechismus diese großen Fragen unserer Zeit nicht beantwortet, legt er doch den fortlaufenden Bemühungen von Theologen und Bibelwissenschaftlern keine Steine in den Weg.

Ein kurzes Beispiel soll hier genügen. Der "Zwischenruf" bezieht sich zweimal kritisch auf den Abschnitt 674 des "Katechismus der Katholischen Kirche" und zeigt, daß er hier "den Juden die Verantwortung für den Anbruch bzw. das Ausbleiben der Endzeit auferlegt". Offen gesagt fand ich diesen Abschnitt besonders rätselhaft. Während nämlich zunächst der Bezug auf Röm 11,20-26 diese These unterstützt, wird sie durch den abschließenden Bezug auf Röm 11,12.25 konterkariert. Nach Paulus wird ja nicht den Juden, sondern den Heiden die Verantwortung angelastet: "Der Eintritt der 'Vollzahl der Juden' in das messianische Reich im Anschluß an die 'Vollzahl der Heiden' wird dem Volk Gottes die Möglichkeit geben, das 'Vollmaß Christi' zu verwirklichen, in dem 'Gott alles in allen' sein wird." Wie man diesen Absatz interpretiert, hängt vom jeweiligen Gesamtverständnis des Römerbriefs ab. Der Katechet wird sich deshalb dem eschatologischen Rätsel des Paulus stellen müssen.

Abschließend möchte ich den Lesern dieser Stellungnahme die katechetischen Schlüsselprinzipien ans Herz legen, die sich meines Erachtens aus dem "Katechismus der Katholischen Kirche" ergeben, grundlegende katechetische Prinzipien des "Katechismus der Katholischen Kirche" hinsichtlich der Darstellung des Judentums.

Es scheint offensichtlich, daß der Katechismus mit den wichtigsten Elementen der "Lehre der Verachtung" brechen will, welche die Juden als von Gott gestraftes und verfluchtes Volk für ihre angebliche Kollektivschuld am Tod Jesu sah ("Gottesmord") und den jüdischen Glauben und auch das Wort Gottes in der Hebräischen Bibel (dem "alten Gesetz") ständig verunglimpfte. Diese ausdrückliche Absicht, mit der Polemik der Vergangenheit zu brechen, wird in den Aussagen und neuen Formulierungen im ganzen Katechismus deutlich. Dies stellt geradezu seinen Verständnishorizont dar:

1. Das kirchliche Verständnis des Volkes Gottes, der Juden, wird grammatikalisch in Gegenwartsform, nicht in Vergangenheit ausgesagt. "Israel ist das priesterliche Volk Gottes, über dem 'der Name des Herrn ausgerufen ist' (Dtn 28,10). Es ist das Volk derer, 'zu denen Gott zuerst gesprochen hat', das Volk der 'älteren Brüder' im Glauben Abrahams" (63).

2. Auf welche Weise auch immer einzelne Personen historisch beteiligt gewesen sein mögen: Die Juden sind für den Tod Jesu nicht kollektiv verantwortlich (597). Daß der "Katechismus der Katholischen Kirche" auf diesem Leitsatz und seinen zahlreichen Auswirkungen für die lehrhafte Darstellung des Neuen Testamentes besteht, wird durch die ausführliche Behandlung des Themas unter Artikel 4 des Glaubensbekenntnisses "gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt..." (571-630) umgesetzt. Unter dieser umfassenden Überschrift, die gezielt die traditionelle "Lehre der Verachtung" zurückweist, thematisiert der Katechismus die Beziehung Jesu zum Glauben seines Volkes (Israel, Gesetz und Tempel: 574-586); darauf werde ich später noch einmal zu sprechen kommen.

3. Gottes Bund mit den Juden ist "unwiderruflich" (839-840, 2173). Der Neue Bund hat den "Ersten Bund" weder aufgehoben noch ersetzt (522). Der Katechismus wird da eindeutig: "Der Alte Bund ist nie widerrufen worden" (121). Dies nimmt auf eine außergewöhnliche Ansprache Papst Johannes Pauls II. vor Vertretern der Juden in Mainz Bezug, wo er kühn den aktuellen Dialog zwischen Kirche und Judentum mit der Beziehung zwischen Altem und Neuem Testament verglich: "Die erste Dimension dieses Dialogs, nämlich die Begegnung zwischen dem Gottesvolk des von Gott nie gekündigten (vgl. Röm I1, 29) Alten Bundes und dem des Neuen Bundes, ist zugleich ein Dialog innerhalb unserer Kirche, gleichsam zwischen dem ersten und zweiten Teil ihrer Bibel" (17. November 1980).

4. Die Hebräische Bibel muß "als wahres Wort Gottes" dargestellt werden, mit der ihr eigenen bleibenden Integrität und Würde. Wie der Katechismus sagt: "Den Gedanken, das Alte Testament aufzugeben, weil das Neue es hinfällig gemacht habe (Markionismus), wies die Kirche stets entschieden zurück" (123). Deswegen sollte die "Einheit des Planes Gottes" (140) betont werden. So stellten es auch die "Richtlinien" von 1974 dar: Die Hebräische Bibel und die jüdische Tradition dürfen nicht gegen das Neue Testament ausgespielt werden, so daß erstere als Religion der vergeltenden Gerechtigkeit, von Furcht und Gesetzesstreben erscheinen, ohne das Ideal der Gottes- und Nächstenliebe (Dtn 6,5; Lev 19,18: Hos 11, Mt 22).

5. Während Christen gültig in der Hebräischen Bibel "Vorformen dessen, was Gott dann in der Fülle der Zeit in der Person seines menschgewordenen Wortes vollbracht hat" (128) sehen, sind Typologie und Erfüllung doch nicht die einzig gültigen Interpretationsweisen der Hebräischen Bibel. "Diese typologische Lesung fördert den unerschöpflichen Sinngehalt des Alten Testaments zutage. Sie darf nicht vergessen lassen, daß dieses einen eigenen Offenbarungswert behält, den unser Herr selbst ihm zuerkannt hat" (129). Dieser Absatz des Katechismus reflektiert Kapitel I der "Hinweise für eine richtige Darstellung von Juden und Judentum in der Predigt und in der Katechese der katholischen Kirche" von 1985, die sich ausführlich "mit der Beziehung zwischen den Testamenten" beschäftigen. Die "Hinweise" nötigen Katecheten, "die Traditionen der jüdischen Lektüre (in der alten wie der modernen Zeit, E.F.) differenziert und mit Gewinn aufzunehmen". Die Aufgabe, die Ergebnisse des Dialogs mit dem Judentum in die Bildungsarbeit zu integrieren, wurde auch in unserem Land gerade erst in Angriff genommen. Gleichermaßen folgt der "Katechismus der Katholischen Kirche" der Tradition in der Unterscheidung eines mehrfachen Schriftsinns: Der wörtliche (der durch die historisch-kritische Exegese erhobene) und der geistliche Sinn (allegorisch, moralisch und anagogisch), wobei die letzten drei auf dem ersten basieren (115-119).

6. Der "Katechismus der Katholischen Kirche" betont in zwei Abschnitten (839-840) das Wesentliche über "das Verhältnis der Kirche zum jüdischen Volk". Im ersten Abschnitt spiegelt sich "Nostra Aetate", die Papstrede 1986 in der Synagoge von Rom und die Fürbitte für das jüdische Volk aus der erneuerten Karfreitagsliturgie des römischen Missale wider: "Indem die Kirche, das Gottesvolk im Neuen Bund, sich in ihr eigenes Mysterium vertieft, entdeckt sie ihren Zusammenhang mit dem jüdischen Volk, 'zu dem Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat'. Im Unterschied zu den anderen nichtchristlichen Religionen ist der jüdische Glaube schon Antwort auf die Offenbarung Gottes im Alten Bund". Wie im Konzilskdokument werden Röm 9,4-5 und 11,29 im Anschluß daran zitiert. Hier wird die einzigartige Beziehung deutlich, die das Konzil das bleibende "geistliche Band" zwischen Kirche und Judentum nannte und deretwegen der Papst die Juden als unsere "älteren Brüder" im Glauben bezeichnete - grammatikalisch in der Gegenwartsform und nicht als ein vergangenes Geschehen, das sich in der Zeit des Neuen Testamentes erschöpfte (siehe auch 63). Die Gültigkeit nicht nur des "Alten Bundes", sondern auch des aktuellen jüdischen Glaubens und seiner Ausübung als einer "gläubigen Antwort auf die Offenbarung Gottes" wird anerkannt.

7. Die Verantwortlichen für die Verkündigung müssen über Vergangenheit und Gegenwart hinausschauen, wenn sie von "Erfüllung" reden, und ihre Lehre mit eschatologischer Dringlichkeit einschärfen. "Blickt man auf die Zukunft, so streben das Gottesvolk des Alten Bundes und das neue Volk Gottes ähnlichen Zielen zu: der Ankunft (oder der Wiederkunft) des Messias." Im Rahmen einer genauen Kenntnis der Unterschiede zwischen Juden und Christen (und auch innerhalb der beiden Religionsgemeinschaften) in bezug auf die Messias-Hoffnung kann die Erfüllungstheologie des Katechismus eher befreiend und herausfordernd sein als ausschließend und substituierend, wie auch der Abschnitt der "Hinweise" von 1985 besagt, auf den sich der Katechismus an dieser Stelle bezieht: "Aufmerksam horchend auf denselben Gott, der gesprochen hat, hangend am selben Wort, haben wir ein gleiches Gedächtnis und eine gemeinsame Hoffnung auf Ihn, der der Herr der Geschichte ist, zu bezeugen. So müßten wir unsere Verantwortung dafür wahrnehmen, die Welt auf die Ankunft des Messias vorzubereiten, indem wir miteinander für soziale Gerechtigkeit und ... internationale Versöhnung wirken. Dazu drängt uns, Juden und Christen, das Gebot der Nächstenliebe, eine gemeinsame Hoffnung auf das Reich Gottes und das große Erbe der Propheten." Diese Aussagen der Kommission des Heiligen Stuhls stehen für zahlreiche ähnliche päpstliche Aussagen der letzten Jahre.

8. Mit Hinweis auf die Ansprache Papst Johannes Pauls II. an die Bischofssynode in Rom (6. März 1982) und die "Hinweise" von 1985 erklärt der Katechismus: "Eine bessere Kenntnis des Glaubens und des religiösen Lebens des jüdischen Volkes, wie sie noch heute bekannt und gelebt werden, kann zu einem besseren Verständnis gewisser Aspekte der christlichen Liturgie verhelfen" (1096). Derselbe Abschnitt fährt fort, die jüdischen Wurzeln christlicher Liturgie aufzuzeigen: die Verkündigung des Wortes Gottes, die Antwort auf dieses Wort als Lobgebet und die Fürbitte für die Lebenden und die Toten, die Form des Wortgottesdienstes und des Stundengebets, zentrale Gebete wie das Vaterunser, die großen Feste der Kirche und das liturgische Jahr an sich, besonders das Paschafest, das "beide feiern": "die Juden das auf die Zukunft ausgerichtete geschichtliche Pascha; die Christen das im Tod und in der Auferstehung Christi in Erfüllung gegangene, wenn auch noch stets auf die endgültige Vollendung harrende Pascha". Wieder ruft der eschatologische Vorbehalt (schon - noch nicht) Juden und Christen in einen Dialog gegenseitiger Versöhnung, gemeinsamer Erwartung und Zusammenarbeit, um die Welt auf das Reich Gottes vorzubereiten, eine Aufgabe, welche die Juden "tikkun olam" - Erneuerung der Welt - nennen. Nochmals: Damit in der Praxis der spirituelle Reichtum der jüdischen liturgischen Tradition als Quelle für das tiefere Verständnis nicht nur Jesu, sondern auch der nachbiblischen christ lichen liturgischen Entwicklung erschlossen werden kann, müssen noch eingehende Forschungsarbeiten zu den jüdischen Quellen und entsprechender Glaubenspraxis über die Jahrhunderte hinweg auf allen Ebenen der katholischen Lehre und Erziehung geleistet werden.

Dr. Eugene J. Fisher ist stellvertretender Leiter des Sekretariats für ökumenische und interreligiöse Fragen der Amerikanischen Bischofskonferenz und besonders für den christlich-jüdischen Dialog zuständig.

James L. Heft
Gemeinsame Herausforderung durch die säkulare Welt

Einleitung

Als katholischer Theologe leite ich seit sieben Jahren eine katholische Universität, die sich seit zwanzig Jahren am jüdisch-katholischen Dialog beteiligt. In diesem Dialog bin ich auch persönlich engagiert; ich habe einige Aufsätze dazu veröffentlicht. Meine Absicht hier ist eine doppelte: erstens, über den "Zwischenruf" nachzudenken, und zweitens, dies als Amerikaner zu tun.

Bevor ich damit beginne, hier zunächst einige allgemeine Bemerkungen über die Veröffentlichung des Katechismus in den Vereinigten Staaten und seine dortige Rezeption. Wie vielen bekannt ist, wurde der Katechismus ursprünglich auf Französisch geschrieben, im Juni 1992 vom Papst genehmigt und dann bald ins Italienische und Spanische übersetzt. Nach etlichen Kontroversen, hauptsächlich zum Thema "inclusive language" - einem speziellen Problem englischsprachiger Länder wie auch allgemein akademischer Kreise - wurde sein offizieller englischer Text im Herbst 1994 veröffentlicht.

Die Stellungnahmen amerikanischer Theologen zu früheren Entwürfen dieses Katechismus waren häufig negativ. Eine ganze Nummer (3. März 1990) der von Jesuiten herausgegebenen Wochenzeitschrift "America" enthielt dazu Essays von fünf Theologen und einem Bischof. Mindestens zwei voluminöse Aufsatzsammlungen wurden über den "Katechismus der Katholischen Kirche" veröffentlicht.

Als dann die genehmigte Fassung erschien, gab es in der Presse weitverbreitete Kritik zum Fehlen inklusiver Sprache. Trotzdem erschienen allmählich auch positivere und das Wesentliche berührende Bewertungen. Tausende Exemplare des "Katechismus der Katholischen Kirche" wurden verkauft. Universitäten hielten Symposien zu diesem Thema ab. Die Diözesen organisierten vielerorts Fortbildungen für Religionslehrer, um sie mit den Inhalten vertraut zu machen. Einige Vertreter der Linken blieben kritisch; Vertreter der Rechten wollten den neuen Katechismus als Lehrbuch für den Religionsunterricht an High School und College einsetzen. Viele sahen ihn letztendlich dennoch so, wie er intendiert war: als ein Kompendium, ein Nachschlagewerk der offiziellen katholischen Lehre.

Der "Zwischenruf"

Die besonnene und differenzierte Stellungnahme des Gesprächskreises zum Thema, wie Juden und Judentum im "Katechismus der Katholischen Kirche" behandelt werden, hat mich beeindruckt. Die Literatur zu diesem Thema in den Vereinigten Staaten deckt nahezu die gleichen Punkte ab, aber mit weniger Prägnanz als der "Zwischenruf". Bezeichnenderweise herrscht Konsens über die gelungenen Punkte der Darstellung im "Katechismus der Katholischen Kirche": Er fällt nicht hinter die Aussagen des II. Vatikanum zurück, spricht deutlich von der Unwiderruflichkeit des Bundes zwischen Gott und den Juden, liefert ein positives Bild der jüdischen Identität Jesu und der Pharisäer und lehnt kategorisch die Idee einer Kollektivschuld der Juden am Tod Jesu ab. Soweit ich sehe, besteht darüber hinaus allgemeiner Konsens darüber, daß der "Katechismus der Katholischen Kirche" versucht, neben den Lehraussagen des II. Vatikanum über die Juden auch die Dokumente der Vatikanischen

Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum von 1974 und 1985 aufzugreifen, ohne jedoch über sie hinauszugehen und ohne einige der noch bestehenden Schwierigkeiten zu lösen. Dr. Eugene Fisher, Leiter der Kommission für christlich-jüdische Beziehungen der Amerikanischen Bischofskonferenz, veröffentlichte etliche Artikel, welche die Rezeption der Katechismus-Aussagen über das Judentum von seiten der "theologischen Mitte" zusammenfassen.

Der "Zwischenruf" legt viele Schwächen in der Behandlung des Themas Judentum im "Katechismus der Katholischen Kirche" offen, besonders insofern ein typologisches Schriftverständnis den Eindruck erwecken kann, daß Israel seine Existenzberechtigung verloren habe, da das neue Israel, die Kirche, ins Leben getreten sei.

Auf Englisch sprechen wir dann von der Theorie des "Supersessionism" - Substitutionstheorie -, das heißt jener Lehre, die besagt, daß das Judentum keine Existenzberechtigung mehr nach der Zeit Jesu habe. Die Kritiker des Katechismus sehen diese Substitutionstheorie in Aussagen enthalten wie: "Das Neue Testament ist die Erfüllung des Alten Testamentes" und: "Die Kirche löst die Juden als Volk Gottes ab".

Zweifellos hat das typologische Schriftverständnis eine Schattenseite. Die Kirchenväter wendeten häufig die Typologie an, und historisch gesehen heizte dies die "Lehre der Verachtung" tatsächlich noch an, die sich dann in verschiedenen, für die Juden real tödlichen Feuern durch die ganze Geschichte des Christentums hinweg zeigte und in der massiven Feuersbrunst der Schoa ihren Höhepunkt erreichte. Die Wurzeln der Substitutionslehre können laut Verweis des Gesprächskreises bis auf den "kirchlichen Antijudaismus" der genuinen Aussagen des Neuen Testamentes, besonders des Johannes-Evangeliums, zurückverfolgt werden.

Die Folgen solcher Typologie könnten teilweise dadurch korrigiert werden, daß man sich auf die Glaubensinhalte konzentriert, die Christen und Juden verbinden: auf den Glauben an den einen Gott, der gnädig und barmherzig ist, an einen Gott, der seinem Volk vergibt. Darüber hinaus würde ein positives Bild des zeitgenössischen Judentums, welches das Judentum als eine lebendige religiöse Tradition anerkennt, dazu beitragen, die negative Kraft der Typologie zu mildern. Schließlich würde der wohlbegründete Hinweis, daß die besondere Beziehung der Kirche zum Judentum konstitutiv für ihre eigene Identität ist, deutlich machen, daß die Zeit des Judentums nicht vorbei ist, sondern fortbesteht.

Zwei Gedanken zum Schluß, die mir beim Lesen kamen. Beide beziehen sich auf den letztgenannten der drei Mängel im neuen "Katechismus der Katholischen Kirche". Ich stimme zu, daß der Katechismus einen sehr positiven Einfluß hätte ausüben können, wenn er aufgezeigt hätte, daß sich Juden und Christen besonders heute und besonders in der westlichen Welt einer gemeinsamen Herausforderung stellen müssen. Beide trifft diese Herausforderung innerhalb ihrer wohlhabenden Gemeinden und im Gegenüber zu einer nichtglaubenden Öffentlichkeit. Dies wurde eindringlich vom Oberrabbiner Englands, Dr. Jonathan Sacks, dargelegt. In einer Rede in London im September 1995 anläßlich des ersten Abends des Selichot, des Bußtages, der dem jüdischen Neujahrsfest vorausgeht, führte Sacks aus, daß der Rückkehr ins Gelobte Land, die der Zionismus brachte, eine Glaubenskrise folgte: "Vor hundert Jahren waren wir gläubig, aber ohne Land. Heute haben wir ein Land, aber was ist mit unserem Glauben geschehen?" Er fuhr fort: "Wir wissen, warum im 15. Jahrhundert die Juden in Spanien ihre Gemeinden oder im 19. Jahrhundert jene in Deutschland und Rußland ihre Heimat verließen. Sie fürchteten um ihr Leben. Heute sind Juden frei, anerkannt und erfolgreich; darüber hinaus haben wir ein Zuhause. Möglicherweise wird sich als die größte Gefahr für das Über leben des jüdischen Volkes - Gott möge es verhüten - nicht das nationalsozialistische Regime und die Sowjet-Herrschaft herausstellen, sondern unsere eigene Gleichgültigkeit." Sacks beklagte weiterhin "den Verlust jüdischer Werte in unserem Leben" und "die Kluft zwischen der religiösen Minderheit und der säkularen Mehrheit, wobei beide Gruppen von Jahr zu Jahr extremer werden." Die Antwort, die er darauf dem ganzen jüdischen Volk gab, war, "zu Gott heimzukehren" (The Tablet, 23. September 1995).

Dasselbe gilt auch für die meisten Katholiken im Westen. Nie zuvor waren so viele Katholiken so wohlhabend. Und nie zuvor war die Gefahr des Glaubensverlustes größer. Diesbezüglich stehen Katholiken und Juden vor einem tiefgreifenden, gemeinsamen Problem: dem des echten Glaubens angesichts einer Welt, die sich der Religion gegenüber größtenteils uninteressiert zeigt. Der "Katechismus der Katholischen Kirche" hätte eine solche Beobachtung machen können; dann hätte er Katholiken und Juden vor die gleiche Herausforderung gestellt.

"Wie reden über Schuld, Leid und Versöhnung" - mit dieser Schwie rigkeit hat die zweite Beobachtung zu tun. Der jüdisch-christliche Dialog in den Vereinigten Staaten beschäftigt sich wenig mit dieser existentiellen Angst, die in der Seele der deutschen Christen seit den letzten sechzig Jahren besonders verwurzelt ist. Bei uns wird die Diskussion auf katholischer Seite oft von verschiedenen theologischen, auf jüdischer Seits eher von verschiedenen politisch-religiösen Themen dominiert. Während unsere Reaktion auf das Thema Judentum im "Katechismus der Katholischen Kirche" der des "Zwischenrufs" recht ähnlich war, wird die existentielle Beziehung zwischen Juden und Christen in den Vereinigten Staaten weniger von den Geschehnissen der letzten sechzig Jahre geprägt. So kamen sich Katholiken und Juden näher, als in den späten zwanziger Jahren die Kampagne des Katholiken Al Smith bei der Präsidentschaftswahl in Amerika auf eine starke anti-katholische Stimmung stieß; damals bildeten beide Gruppen eine Organisation, um gegen rassistische und religiöse Vorurteile anzugehen, die "National Conference of Christians and Jews", jetzt "The National Conference". Diese Organistion beobachtet weiterhin die Situation und wird als politische Kraft im ganzen Land wahrgenommen.

Zusammenfassung

Ein anderer engagierter Teilnehmer des jüdisch-christlichen Dialogs ist Fr. John Pawlikowski, Professor für Sozialethik an der Catholic Theological Union in Chicago. Vor kurzem schrieb er über die drei Phasen, die der jüdisch-christliche Dialog in den Staaten durchlaufen habe. Die erste Phase bezeichnet er als "Reinigungsphase". Von der Lehre des II. Vatikanum über die Juden ausgehend untersuchte man in dieser Zeit Lehrtexte, die in katholischen Handbüchern verwendet wurden, und entfernte daraus die Passagen, die deutlich die Substitutionslehre vertraten. Die zweite Phase - in manchen Fällen zeitlich noch vor dem II. Vatikanum anzusetzen - hat mit neuen Ansätzen in der christlichen Exegese zu tun, die der Hebräischen Bibel (dem "Alten Testament") einen eigenständigen Wert zusprachen. Diese Bewegung unter Wissenschaftlern hat es Christen wie nie zuvor ermöglicht, die jüdische Identität Jesu und das Judentum seiner Zeit zu würdigen. Die dritte Phase, so fährt Pawlikowski fort, beginnt erst jetzt. Sie besteht in der Bemühung, die Beziehung zwischen Kirche und Judentum in fundamentaler Weise neu zu überdenken. Fortschritte in dieser dritten Phase werden uns meines Erachtens helfen, ein typologisches Schriftverständnis anzuwenden, ohne der Gefahr der Substitutionslehre anheimzufallen, Jesus im christlichen Bekenntnis als die Erfüllung der Aussagen der biblischen Propheten zu sehen, ohne gleichzeitig die einzigartige Bedeutung dieser Prophezeiungen für das Judentum abzuschwächen. Dann wird es möglich sein, Jesus als den "Erlöser der Welt" zu bekennen und dabei doch die bleibende Gültigkeit und Notwendigkeit der Existenz der großartigen, lebendigen Tradition des Judentums zu würdigen.

James L. Heft ist Ordenspriester, Professor für Theologiegeschichte und Kanzler an der Universität Dayton, Ohio.

Alan Mittleman
Dialektisches Ja und Nein zu Israel

Der "Zwischenruf" des Gesprächskreises “Juden und Christen" analysiert präzise, daß der "Katechismus der Katholischen Kirche" von 1992 keine kohärent positive Beschäftigung mit dem Judentum entwickeln konnte. Der jüdische Leser des Katechismus kann nicht umhin, zwei miteinander im Konflikt liegende Tendenzen zu bemerken. Der Katechismus will sich deutlich in die Reihe der Vorgängerdokumente mit deren ehrlicher Würdigung des Judentums einreihen; d.h. der Katechismus will sich vom Antisemitismus distanzieren, Vorurteile abbauen und eine positive Bewertung des spirituellen Reichtums der jüdischen Tradition wie ihrer Beziehung zur Kirche fördern. Er will Katholiken dazu bringen, Juden als Gläubige anzuerkennen. Andererseits gelingt es dem "Katechismus der Katholischen Kirche" nicht, eine Theologie zu vermitteln, die diese ethische Grundposition begründet. Ethische und theologische Impulse stimmen nicht überein.

Diesbezüglich ist der "Katechismus der Katholischen Kirche" eine enger gefaßte Version der 1985 veröffentlichten "Hinweise". Wie der Verfasser bemerkten damals viele jüdische Kritiker dieses Dokuments, daß sich die "Hinweise" auf eine typologische Hermeneutik gründen und deshalb eine glaubhafte Würdigung des Judentums unterlaufen; so unterstützen sie die Substitutionstheorie, wie qualifiziert und nuanciert diese auch sein mag. Wenn der innere, göttlich intendierte Bezugspunkt der Hebräischen Bibel das Neue Testament ist, wie es die "Hinweise" und der "Katechismus der Katholischen Kirche" lehren, dann geht die rabbinische Interpretation der Thora - das absolute Herz des Judentums! - am Wesentlichen vorbei. Genau an diesem Punkt wird das Ethos des Dokuments, nämlich ein vorurteilsfreies Bild der Pharisäer wiederherzustellen, durch eine Theologie untergraben, die deren jüdische Position als unhaltbar ablehnt.

Der katholische Wissenschaftler Hans Hermann Henrix bemerkte zu den "Hinweisen" von 1985, daß sie eine "christologische Dialektik von Ja und Nein zu Israel" enthielten. Henrix geht auf die Inkohärenz, auf die ich hingewiesen habe, ein und wertet sie als Interpretationsprinzip in dem Sinne, daß die Antwort der Kirche an Israel zwangsläufig dialektisch sein müsse. Am optimistischsten lautet das dann noch: "So wird man vielleicht doch von einem Ja sprechen können, welches das Nein umgreift; es ist ein Ja nicht ohne das Nein, aber das Nein bleibt im Ja integriert." Diese Beurteilung scheint meines Erachtens auf den "Katechismus der Katholischen Kirche" gleichermaßen anwendbar.

Wenn es aber stimmt, daß Inkohärenz, Dialektik und Ambivalenz eher strukturelle als zufällige Merkmale kirchlicher Theologie sind, erhebt sich die Frage, auf welche Basis die Autoren des "Zwischenrufs" dann ihre Kritik am "Katechismus der Katholischen Kirche" stellen. Wenn es an bestimmten Punkten auch weitergehen kann, wie weit kann es im letzten gehen? Kann (oder soll) die Kirche die Juden sehen, wie diese sich selbst sehen wollen? Ist dies das Ideal, das Theologie postulieren soll? Oder muß die Kirche auf ihrer Dialektik von Ja und Nein gegenüber Israel beharren, um Kirche zu bleiben? Dies sind die radikalen Fragen, die "netzach jisrael" - die Ewigkeit Israels - stellt, die aber der "Katechismus der Katholischen Kirche" nur vage aufgreift.

Alan Mittleman ist Rabbiner, Professor an der Abteilung für Religionswissenschaften des Muhlenberg College in Allentown, Pennsylvania, und zur Zeit deren Dekan.

Michael A. Signer
Positive Stellungnahmen der Päpste nicht berücksichtigt

Als Jude schreibe ich nur mit einigem Zögern über den "Zwischenruf" des Gesprächskreises. Der "Katechismus der Katholischen Kirche" ist ein katholisches Dokument und als solches für Katholiken bestimmt. Laut Vorwort von Papst Johannes Paul II. soll der Katechismus als normativer Rahmen für die Katechese der einzelnen Ortskirchen dienen. Wie soll ein Rabbiner eine kritische Stellungnahme zu einem solchen Dokument versuchen, das von einer derart hohen Autorität getragen wird?

Als Einstieg bietet sich die Tatsache an, daß der neue Katechismus intensive und heftige Diskussionen unter Katholiken sowohl während seiner Erarbeitungsphase als auch nach seiner Veröffentlichung hervorgerufen hat. Viele Stellungnahmen sind in Amerika erschienen. Sie haben Methode und Inhalt des Katechismus fundiert analysiert. Man könnte dem Katechismus tatsächlich zugute halten, daß er sehr ernsthafte Gespräche über die wesentlichen Inhalte des Katholizismus angestoßen hat und eventuell zu einer neuen Blüte der theologischen Literatur führen wird. Ein amerikanischer Wissenschaftler meinte, daß der neue Katechismus die Laien ermutigen werde, sich bewußt zu machen, was sie eigentlich glauben. Als Jude werde ich von jedem Dokument ermutigt, das eine ernsthafte Diskussion über religiöse Vorstellungen weckt und dadurch Menschen aufrüttelt, diese in ihr Leben zu integrieren.

Es scheint mir auch, daß der "Zwischenruf" den jüdisch-christlichen Dialog weiterbringt, der seit "Nostra Aetate" in eine völlig neue Phase getreten ist. Diese neue, gerade erst dreißig Jahre alte Phase erlaubt es Juden und Christen, sich gleichsam als Partner innerhalb einer Familie zu verstehen - was noch vor 1965 unvorstellbar gewesen wäre. Meines Erachtens ist es schmerzlich, daß diese fruchtbaren Diskussionen erst lange nach dem kreativen Dialog zwischen protestantischem Christentum und dem Judentum in Deutschland beginnen konnten. Wie hätten Rabbi Leo Baeck, Franz Rosenzweig oder Martin Buber auf die Veränderungen innerhalb der katholischen Kirche nach der Schoa reagiert? Aus deren literarischem Erbe meine ich ableiten zu können, daß bei ihnen der "Zwischenruf" auf große Akzeptanz gestoßen wäre. Ich weiß auch, daß mein hochgeschätzter Lehrer, Rabbi Jakob Petuchowski, das Gefühl hätte, daß sich die Zeit seiner jahrelangen Lehrtätigkeit in Deutschland und seiner intensiven Kontakte mit deutschen katholischen Theologen gelohnt hat.

Der Gesprächskreis erkennt lobend an, daß der Katechismus die wichtigste theologische Entwicklung des II. Vatikanum aufrechterhält: Die Juden sind ein für allemal nicht schuldig am Tod Christi. Nr. 597 des Katechismus betont dies sowohl in der Überschrift als auch im Text. Aus jüdischer Perspektive genauso wichtig ist Nr. 598, wo die weiterführende theologische These aufgestellt wird, daß Christen durch ihre eigenen Sünden zum Tode Christi beigetragen hätten. Dieser Abschnitt ist wichtig, weil er keine Zwei deutigkeit über die Bedeutung der Sünde für die Kreuzigung Christi zuläßt und weil er das Judentum völlig aus der Schußlinie der Kreuzestheologie nimmt.

Ein weiteres positives Phänomen des Katechismus ist die Darstellung des Lebens Jesu im Kontext des Judentums (574-576). Der Katechismus betont die Einzigartigkeit Jesu innerhalb des Judentums seiner Zeit. Dies führt zu einer interessanten dialektischen Spannung der positiven und negativen Bewertung des Judentums der Zeit Jesu: Nr. 577-582 beinhalten eine negative Sicht zum jüdischen Gesetz der Zeitenwende, und gleichzeitig zeigen Nr. 583-586 eine positive Bewertung des Jerusalemer Tempels.

Man wird sicher von der Kirche erwarten, daß sie die Einzigartigkeit Jesu in bezug auf andere religiöse Gruppen seiner Zeit darstellt. Trotzdem überrascht es im Licht der äußerst differenzierten Literatur, die seitens jüdischer und christlicher Exegeten vorliegt, daß Thora und jüdische Observanz der Thora in solch negativem Licht dargestellt sind. Dies wird es für Christen erschweren, das Judentum als "Weg der Thora" zu verstehen. Rabbi Leon Klenicki hat im speziellen auf die Verwendung des Terminus "Gesetz" im Katechismus hingewiesen, das seines Erachtens gemäß dem hebräischen "Halacha", d.h. "Weisung auf Gott hin", hätte verstanden werden sollen.

Der Geist der Lehraussagen des II. Vatikanum über das Judentum kann auch in Nr. 839 gefunden werden, die den ersten Satz aus "Nostra Aetate" wiederholt. Der nachfolgende Satz ist dann eine originäre Aussage des Katechismus und stärkt die positive Bewertung des Judentums angesichts der nichtchristlichen Religionen: "Im Unterschied zu den anderen nichtchristlichen Religionen ist der jüdische Glaube schon Antwort auf die Offenbarung im Alten Bund.” Das Judentum, so hat es Papst Johannes Paul II. in vielen Ansprachen betont, nimmt einen einzigartigen Platz unter den nichtchristlichen Religionen ein: Es ist Teil der gemeinsamen Hinordnung auf Gott, die im Bund ihre eigene Struktur findet. - Der Katechismus schließt in Nr. 839 mit zwei Zitaten aus dem Römerbrief, die die einzigartige Position des Judentums betonen.

Diese positiven Aussagen werden in schmerzlicher, aber ernstzunehmender Weise von Nr. 840 konterkariert, was dem vorhergegangenen Abschnitt eine eschatologische Dimension hinzufügt." Blickt man auf die Zukunft, so streben das Gottesvolk des Alten Bundes und das neue Volk Gottes ähnlichen Zielen zu: der Ankunft (oder der Wiederkunft) des Messias. Auf der einen Seite wird die Wiederkunft des gestorbenen und auferstandenen Messias erwartet, der als Herr und Sohn Gottes anerkannt ist; auf der anderen Seite erwartet man für das Ende der Zeiten das Kommen des Messias, dessen Züge verborgen bleiben - eine Erwartung, die freilich durch das Drama der Unkenntnis oder des Verkennens Jesu Christi begleitet wird."

Zwei Elementen dieses Abschnitts muß besondere Aufmerkamkeit gewidmet werden, da sie hinter die Lehre des II. Vatikanum über das Judentum zurückfallen. Der Terminus "Gottesvolk des Alten Bundes" wird zur Charakterisierung der Juden und "das neue Volk Gottes" als Beschreibung der Christen gewählt. Manche Theologen werden wohl behaupten, daß der Begriff "Gottesvolk des Alten Bundes" ein positiver Ausdruck der Achtung der Kirche vor dem Alten Bund sei, der nie widerrufen wurde. Trotzdem erhält dieser Ausdruck einen eher negativen Ton, wenn er in den Kontext des "neuen Volkes Gottes" gestellt wird, als ob das "neue" das "alte" ablösen würde. Der zweite störende Teil dieses Abschnitts ist der letzte Satz, der die Juden in ihrer eschatologischen Messiaserwartung beschreibt. Als Jude halte ich die Beschreibung der klassischjüdischen Messiaserwartung im Katechismus, "dessen Züge bis zum Ende der Zeiten verborgen bleiben", für korrekt. Trotzdem klingt dieser Satz, der die jüdische Erwartung des Eschaton als "durch das Drama der Unkenntnis oder des Verkennens Jesu Christi begleitet" ansieht, anstößig und beleidigend. Die positive Bewertung des Judentums wird verraten, wenn jüdisches Leben in der Welt als weniger vollständig bezeichnet wird. Inwieweit weicht das vom mittelalterlichen Verständnis der Juden als "perfidi" ab, was zumindest einen schlimmen Mangel bezeichnet? Die Stellungnahme des Gesprächskreises betont auch die schwankende und widersprüchliche Eschatologie im Katechismus, besonders in ihrem Verweis auf Nr. 762. Hier entsteht der Eindruck, daß der Bund mit Israel tatsächlich gebrochen und durch die Kirche abgelöst wurde; so auch Nr. 674, wo den Juden Verantwortung für den Anbruch bzw. die Verzögerung der Endzeit zugeschrieben wird.

In diesem Sinne bringt die Bewertung des Katechismus durch den Gesprächskreis, daß nämlich "der 'Katechismus der Katholischen Kirche' hinter den Erwartungen zurückbleibt, die man heute an ihn stellen muß", auch meine Enttäuschung zum Ausdruck. Ich unterstütze entschieden die Kritik des "Zwischenruf" am Katechismus bezüglich des Fehlens einer positiven Darstellung des Judentums. Es wurde keine Anstrengung unternommen, die Glaubensinhalte, die dem Judentum und Christentum gemeinsam sind, zu verdeutlichen. Im Katechismus sucht man vergeblich nach einer positiven Bezugnahme auf das rabbinisch geprägte Judentum der nachbiblischen Zeit, die die tatsächliche jüdische Religion seit der Zeit der Kirche ist. Fr. Gerard Sloyan, ein amerikanischer Exeget, argumentierte, daß "die christliche Religionsgemeinschaft faktisch den Juden jede Existenzberechtigung abspricht, weil sie diese nur als Phänomen der Geschichte, nicht aber als eines der Gegenwart wahrnimmt." Es scheint, als ob die Verfasser des Katechismus die vielen positiven Stellungnahmen der Päpste von Johannes XXIII. bis Johannes Paul II. nicht berücksichtigt hätten, ebensowenig die Dokumente der Vatikanischen Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, besonders die "Hinweise für eine richtige Darstellung von Juden und Judentum in der Predigt und in der Katechese der katholischen Kirche" von 1985. Theologen wie Dr. Eugene Fisher und Sr. Mary Boys SJNM haben auf die fehlende Rezeption der "Hinweise" im "Katechismus der Katholischen Kirche" verwiesen. Sr. Boys spricht von der Ironie, "daß man das frühere Dokument (die "Hinweise" von 1985, M.S.) als Infragestellung des neuen Katechismus lesen könnte." Ich finde es seltsam, daß der Katechismus keine der positiven Stellungnahmen von Bischofskonferenzen in den Vereinigten Staaten, Europa oder in Lateinamerika zum Judentum erwähnt. Schade, daß die dreißig Jahre der produktiven Kooperation zwischen Christen und Juden so wenig Einfluß auf den Katechismus hatten!

Der "Zwischenruf" betont noch einen anderen wichtigen Kritikpunkt am neuen Katechismus: die Behandlung der Beziehung zwischen den beiden Testamenten der christlichen Bibel. Während einerseits der eigenständige Wert des Alten Testamentes in Nr. 121-123 gewürdigt wird, wird das Alte Testament andererseits als erst durch das Neue Testament "vollendet" beschrieben. Dies ist nach Nr. 1963 sogar das hermeneutische Prinzip des ganzen Katechismus: "Gemäß der christlichen Überlieferung ist das heilige, geistige und gute Gesetz noch unvollkommen". Eine andere Formulierung desselben Gedankens liegt in Nr. 1967 vor: "Das Gesetz des Evangeliums 'erfüllt', verfeinert, überragt und vervollkommnet das alte Gesetz". Schließlich ist das Gesetz "Zuchtmeister", um das Volk zu Christus zu führen (708). Diese Aussage stützt sich natürlich auf Gal 3,24; aber es dürfte schwierig sein, Christen zu lehren oder Juden davon zu überzeugen, daß die katholische Kirche das Judentum hochschätzt, wenn gleichzeitig die Basis der jüdischen Offenbarung als "unvollkommen" beschrieben wird. Dies mag zwar historisch gesehen eine vollkommen zutreffende Beschreibung des christ lichen Verständnisses des Gesetzes als göttlicher Offenbarung sein. Dennoch frage ich mich, warum der Katechismus ein so stark apologetisches Thema, bei dem sich die Kirche anscheinend in die Defensive gedrängt fühlt, anschneiden muß.

Aus der Kritik des Verhältnisses zwischen den beiden Testamenten ergeben sich ernsthafte Fragen des Gesprächskreises und amerikanischer Theologen über den Gebrauch des typologischen Schriftverständnisses als hermeneutischem Prinzip des Katechismus. Nach Erscheinen der "Hinweise" 1985 zeigten sich viele jüdische Theologen diesbezüglich besorgt. Auch christliche Theologen teilten diese Zweifel über die Darstellung der Typologie in den "Hinweisen". Der "Katechismus der Katholischen Kirche" würde ihre anfänglichen Eindrücke bestätigen. Wenn das Alte Testament "unvollkommen" ist, dann dient es nur als Schatten der Wirklichkeit, die sich im Neuen Testament Bahn bricht. Dieser Typologie-Gebrauch erscheint im Hebräerbrief und in nachapostolischen Schriften wie dem Barnabasbrief, der Didache und der Traditio Apostolica. Die schwarze Seite der typologischen Interpretation der frühen Kirche wird in der Pascha-Homilie des Meliton von Sardes deutlich. Die positiven Aussagen über das Judentum im Katechismus stellen zwar einen Schutzschild gegen ein solch negatives Bild des Alten Testamentes dar. Trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß unkritische Leser die Kapitel über die Hebräische Bibel schnell überblättern und im Kapitel über die Kirche weiterlesen. Die Gefahr des Markionismus ist deswegen immer bei der Lektüre solcher Abschnitte im Katechismus gegeben, die sich auf die Sakramente und das Leben der Kirche konzentrieren.

Tragisch ist es, daß die Leser des neuen Katechismus nicht an das vorbildlich differenzierte Verständnis von Typologie in der Stellungnahme der Päpstlichen Bibelkommission von 1994 herangeführt werden: "Vor allem aber liest die Kirche das Alte Testament im Lichte des österlichen Geschehens - Tod und Auferstehung Jesu Christi. Das führt zu etwas grundlegend Neuem und verleiht den Heiligen Schriften mit souveräner Autorität einen entscheidenden und definitiven Sinn (Dei Verbum, 4). Diese neue Sinnbestimmung gehört voll und ganz zum christlichen Glaubensgut. Trotzdem darf sie deshalb der älteren, kanonischen Interpretation, die dem christlichen Osterglauben vorausging, nicht jede Bedeutung absprechen. Denn jede Phase der Heilsgeschichte muß auch in ihrem Eigenwert geachtet werden. Das Alte Testament seines Sinnes zu entleeren, hieße das Neue Testament von seinen geschichtlichen Wurzeln abschneiden."

Als Jude würde ich nie von Christen erwarten, daß sie ihre eigene Lesart der Hebräischen Bibel im Licht des Kerygmas der Evangelien hintanstellen. Dennoch gilt, was die Päpstliche Bibelkommission betont: "Jede Phase der Heilsgeschichte muß auch in ihrem Eigenwert geachtet werden." Wenn der Katechismus einfache Übereinstimmungen zwischen Ereignissen der christlichen Bibel als typologisches Grundmuster wertet, entleert er die christliche Tradition eines Teils ihres reichen Erbes. So argumentierte auch Sr. Boys: "Der 'Katechismus der Katholischen Kirche' verwendet eine Typologie, die eigentlich eine Weise der Liturgie und Poesie ist, und verwandelt sie in Prosa und Informationsübermittlung." Wenn Poesie in Prosa umgeformt wird, verliert sie die Kraft, den menschlichen Geist zu verwandeln.

Wenn ich über den "Katechismus der Katholischen Kirche" nachdenke, vertraue ich darauf, daß meine katholischen Kollegen in Europa, Nordamerika und Lateinamerika, die so intensiv am Dialog beteiligt waren, ihn sinnvoll auslegen werden. Sie hatten sich an Juden gewandt um Hilfe für ein besseres Verständnis des Judentums, um ein tieferes Verständnis jenes Volkes, das Gottes Wort in der Welt lebt. Meine Sorge gilt den Katholiken, deren einzige Hand reichung zum Judentum der "Katechismus der Katholischen Kirche" sein wird. Welche Haltung werden in den erntferntesten Ecken Afrikas und Asiens die vielen Katholiken, die nie im Leben einem Juden begegnen werden, gegenüber dem Judentum einnehmen? Werden sie von Katholiken lernen, die bereits Erfahrungen mit dem Judentum machen konnten? Oder werden sie einfach den "Katechismus der Katholischen Kirche" mit all seinen Spannungen und Widersprüchen lesen, die der "Zwischenruf" offengelegt hat? Meine Hoffnung richtet sich darauf, daß die Kirche in Afrika und Asien von der Erfahrung derer lernen wird, die am Dialog mit Juden teilgenommen haben. Ich bete, daß Katholiken, die aus den Aktionen und Ansprachen des Papstes, aus Verlautbarungen der Bischofskonferenzen und aus der theologischen Literatur über Juden und Judentum gelernt haben, diese Erfahrungen in Wort und Tat weitergeben werden. Davon hängt es ab, ob die Kirche des dritten Jahrtausends die Sünden der vergangenen zweitausend Jahre wiederholt.

Michael A. Signer ist Rabbiner und Professor am Institut für Katholische Theologie der Universität Notre Dame, Indiana.

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