Als Broschüre vergriffen

Zum Solidarpakt

Erklärung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken begrüßt es, daß die Repräsentanten von Regierung und Opposition, von Ländern und Parteien in einem großen parteiübergreifenden Konsens die Forderung nach einem Solidarpakt zur Lösung unserer gegenwärtigen wirtschaftlichen und sozialen Probleme in Deutschland erfüllt haben. Dies entspricht der Herausforderung, vor der wir jetzt in Deutschland stehen.

Die Menschen in den neuen Bundesländern sind viel stärker von den Folgen des Krieges und der Teilung betroffen worden als jene in der alten Bundesrepublik. Der westliche Teil Deutschlands erhielt durch den Marshall-Plan eine wirksame Anschubfinanzierung zum Wiederaufbau. Er konnte eine freiheitliche Wirtschafts-, Sozial- und Rechtsordnung aufbauen. Dies alles war jenen Deutschen, die gegen ihren Willen dem sowjetischen Machtbereich unterworfen wurden, verwehrt. Sie wurden menschlich, politisch und wirtschaftlich entrechtet. Sie mußten einen großen Teil ihrer Arbeitsleistung für erhebliche Reparationen an die Sowjetunion aufwenden und litten unter einem unfähigen Wirtschaftssystem, während die Anstrengungen der Westdeutschen immer mehr dem wirtschaftlichen Aufbau und dem beginnenden Wohlstand zugute kamen. Es entspricht deshalb dem Gebot der Gerechtigkeit, die Auswirkungen dieser Ungleichheiten und Benachteiligungen im Zeichen der Deutschen Einheit auszugleichen.

Der Solidarpakt kann keine einmalige Aktion sein. Wir begrüßen es, daß die jetzt getroffenen Vereinbarungen vielfältige Aufgaben von außerordentlichem Gewicht in ganz Deutschland im Blick haben: Einen neuen Bund-Länder-Finanzausgleich, den Abbau der Arbeitslosigkeit, die Verringerung der Haushaltsdefizite und die Eindämmung der Staatsverschuldung, die Lösung der drückenden Altschuldenprobleme im Wohnungsbau im Osten, die Bahnreform, die Lösung von Strukturkrisen und ökologischen Problemen. Daß dabei die Finanzausstattung der neuen Bundesländer und Maßnahmen zur weitgehenden Angleichung der Lebensverhältnisse in ganz Deutschland Vorrang haben, ist nicht allein eine Frage der wirtschaftlichen Notwendigkeit, sondern auch der Solidarität und Gerechtigkeit.

1. Der Solidarpakt muß einen breiten gesellschaftlichen Konsens sicherstellen und alle gesellschaftlichen Kräfte in die solidarische Verantwortung einbinden.

Der Solidarpakt setzt besser kalkulierbare Rahmenbedingungen mit Prioritäten und Eckwerten für Politik, Wirtschaft, Tarifparteien und Bürger. Er wird aber nur dann seinem Namen gerecht, wenn alle in die solidarische Verantwortung eingebunden werden und im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen konkreten Beitrag leisten. Dabei muß es gerecht zugehen; ein jeder muß nach seiner Leistungsfähigkeit belastet werden, und es wird darauf zu achten sein, daß es bei einzelnen Gruppen nicht zu unerträglichen Mehrfachbelastungen kommt.

2. Die Finanzpolitik von Bund, Ländern und Gemeinden muß durch äußerste Ausgabendisziplin den Solidarpakt sichern.

Unumgänglich ist, daß Bund, Länder und Gemeinden die finanzpolitischen Voraussetzungen für den Solidarpakt bei der öffentlichen Hand erfüllen. Einsparungen in den öffentlichen Haushalten (z.B. Subventionsabbau, zeitliche Streckung beschlossener Vorhaben) und äußerste Ausgabendisziplin sind jetzt geboten; geht es doch darum, die Voraussetzungen für die konjunkturelle Erholung sowie für die Neugestaltung des Bund-Länder-Finanzausgleichs, für eine solide Finanzausstattung der neuen Bundesländer und für eine gerechte Verteilung der Finanzierungslasten zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zu schaffen.

Eine solche Finanzpolitik der öffentlichen Hände ist auch für die Unterstützung des Solidarpakts durch die Bürger von großer Bedeutung. Erst wenn die Menschen sehen, daß der Staat und seine Repräsentanten sparsam haushalten, werden auch sie zu weitergehenden Opfern bereit sein.

3. Wenn die Handlungsfähigkeit unseres Staates sichergestellt bleiben soll, müssen die Bürger auch Mehrbelastungen auf sich nehmen.

Wenn wir nicht wollen, daß unser Staat in eine gefährliche Krise gerät, weil wir von ihm ständig zusätzliche Leistungen erwarten, aber verdrossen reagieren, wenn dies zu erhöhten Steuer- und Abgabenlasten führt, dann müssen wir bereit sein, unser Anspruchs- und Besitzstandsdenken zurückzunehmen. So wie bisher kann es nicht weitergehen, weil die Handlungsfähigkeit unseres Staates und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft auf dem Spiel stehen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß die Familien durch den jahrelangen Stillstand in den familienpolitischen Maßnahmen schon beachtliche Vorleistungen erbracht haben.

Es ist nicht hilfreich, Überlegungen für erforderliche Kurskorrekturen sofort als "Sozialabbau" zu diskreditieren. In unserer Gesellschaft gibt es durchaus Arme; sie kennt aber zugleich einen Wohlstand breiter Schichten. Dieser Wohlstand wird allein schon deshalb weiter wachsen, weil im Verlauf dieses Jahrzehnts riesige Vermögenswerte, inbesondere Hausund Grundvermögen, lastenfrei werden, an die nächste, zahlenmäßig geringere Generation vererbt und bei dieser zu erheblichen Vermögenseinkommen führen werden. Deshalb ist es gerechtfertigt und im Interesse aller, sozialpolitische Maßnahmen zu überprüfen und Möglichkeiten des Mißbrauchs schärfer zu kontrollieren.

Aber es wird auch immer dringlicher, Finanzierungsspielräume für neue gesellschaftspolitische Aufgaben (z.B. die Absicherung des Pflegerisikos) zu schaffen.

Hier stellen sich Aufgaben, die über die jetzt getroffenen Abmachungen hinausgehen.

4. Die Tarifpartner müssen sich ihrer Verantwortung für den Solidarpakt stellen.

Der Solidarpakt gelingt nur, wenn auch die Tarifpartner in ihrem Verantwortungsbereich die erforderlichen Entscheidungen treffen. Die im letzten Jahr abgeschlossenen Tarifverträge in den neuen Bundesländern nähern die Arbeitseinkommen dort an die Einkommen in den alten Bundesländern an. Das ist erfreulich, droht aber für einen Teil der Unternehmen, auch im mittelständischen Bereich, den Anpassungsprozeß zu erschweren und in der Folge Arbeitsplätze zu gefährden.

Die Tarifpartner müssen eine wachstums- und beschäftigungsorientierte Tarifpolitik betreiben, die den in den einzelnen Wirtschaftssektoren unterschiedlichen Bedingungen und Aussichten Rechnung trägt. Für die Stabilisierung unserer Konjunktur und für den Aufbau Ost kann es in den nächsten Jahren notwendig sein, sich in den alten Bundesländern auf eine Reallohnsicherung zu beschränken und in den neuen Bundesländern eine langsamere Anpassung als bisher geplant zu akzeptieren. Dabei sollten auch die Chancen der Beteiligung der Arbeitnehmer am wachsenden Produktivvermögen stärker als bisher genutzt werden.

Die neuen Bundesländer dürfen nicht primär zu Absatzgebiete für Güter und Dienstleistungen aus den alten Bundesländern werden. Der Aufbau einer leistungsfähigen Industrie (und damit von Arbeitsplätzen) in den neuen Bundesländern wird auch Auswirkungen auf Produktionsstandorte und Produktionskapazitäten in den alten Bundesländern haben. Politik, Wirtschaft und Tarifparteien müssen dies offen und rechtzeitig darlegen. Auch in dieser Hinsicht gilt es, teilen zu lernen.

5. Was wir jetzt brauchen, ist eine Besinnung auf das Gemeinwohl, nicht auf den Gruppenegoismus.

Der Solidarpakt wird von uns allen in den nächsten Jahren Opfer verlangen. Sein Scheitern würde dem Gruppenegoismus Tür und Tor öffnen. Nur ein umfassender Solidarpakt kann eine Politik für das Gemeinwohl, für ein menschenwürdiges Leben aller in Freiheit und Gerechtigkeit ermöglichen. Wenn wir ihn mit Leben erfüllen, werden wir wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch Deutschland, Europa und der weltweiten Völkergemeinschaft den geschuldeten Dienst leisten.


Vom Geschäftsführenden Ausschuß beschlossen am 19. März 1993

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