Ausländer und Deutsche - Gemeinsam für die Zukunft

Erklärung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

Seit Jahrzehnten leben Ausländer und Deutsche in der Bundesrepublik Deutschland in engster Nachbarschaft. Dieses Zusammenleben hat uns gemeinsam vielerlei Vorteile gebracht, hat die gegenseitige Kenntnis voneinander erweitert und neue kulturelle Anregungen vermittelt.

Mit dieser Begegnung verbinden sich aber auch mancherlei Probleme und Spannungen. Das ist angesichts der erheblichen Zahlen von ausländischen Mitbürgern, den unterschiedlichen Mentalitäten und Lebensformen, aber auch der mangelnden Vertrautheit vieler Deutscher mit anderssprachigen Fremden verständlich.

Chancen und Probleme dieses Miteinanders sind für unsere Gesellschaft eine ständige Herausforderung. In ihr muß sich die Fähigkeit zur Erweiterung des Blickfeldes, zum Denken in größeren Zusammenhängen, zur gegenseitigen mitmenschlichen Zuwendung, zur Toleranz und zur Respektierung anderer Lebensformen erweisen. Von dieser Einstellung müssen auch alle politischen Bemühungen zur rechtlichen und sozialen Ausgestaltung der Lebensbedingungen für unsere ausländischen Mitbürger getragen sein.

Gegenstand dieser Erklärung ist die Eingliederung der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien.

Dem Fremden bei seinen Schwierigkeiten Verständnis und Hilfe zukommen zu lassen, ihn anzunehmen und ihm Heimat zu geben, ist gelebte christliche Solidarität. Hier müssen wir alle mehr tun. Die katholische Laienarbeit muß diese Aufgabe in den kommenden Jahren als einen Schwerpunkt sehen. Eingliederung der Ausländer heißt auch: Gewöhnung der Deutschen an eine sich verändernde Gesellschaft.

In der Ausländerpolitik müssen die Anliegen ausländischer und deutscher Mitbürger im Zusammenhang gesehen und zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden. Diesem Ziel will das Zentralkomitee der deutschen Katholiken mit seiner Erklärung dienen. Es will einen Beitrag für den notwendigen Dialog zwischen allen Gruppen leisten und Wege aufweisen, wie bestehende Schwierigkeiten überwunden werden können.

II.

Die Ausländerpolitik muß weiterentwickelt werden. Menschen, die als ausländische Arbeitnehmer angeworben wurden und seit Jahren mit ihren Familien in der Bundesrepublik Deutschland wohnen, haben Anspruch auf eine sichere Lebensplanung für sich und ihre Kinder. Viele von ihnen wollen langfristig oder sogar auf Dauer in unserem Land bleiben. Daraus müssen Ausländer und Deutsche Konsequenzen ziehen. Das erfordert ständige Anstrengungen zur Verbesserung der rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen für ihr zusammenleben. Gleichzeitig ist alles zu tun, um Berührungsängste zu überwinden, bestehende Vorurteile abzubauen und dem Eindruck entgegenzuwirken, daß geglückte Integration nur auf dem Wege der Assimilation denkbar wäre.

Bereits im Jahre 1973 hat die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland in ihrem Beschluß "Die ausländischen Mitbürger - eine Frage an die Kirche und die Gesellschaft" ein Gesamtkonzept der Ausländerpolitik gefordert. Die Gemeinsame Konferenz des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und der Deutschen Bischofskonferenz hat im Jahre 1979 erneut auf die Dringlichkeit eines umfassenden Konzepts hingewiesen. Als Schwerpunkte wurden die Beseitigung der Rechtsunsicherheit, das gesicherte Recht der Ausländer auf ein Zusammenleben in der Familie, die Chancengerechtigkeit für die zweite und dritte Generation und die Überwindung der Kluft zwischen der deutschen und der ausländischen Bevölkerung herausgestellt. Die Vorschläge der Gemeinsamen Konferenz zur Erleichterung der Integration hat das Zentralkomitee mit seiner Erklärung n zur Bildungs- und Lebenssituation der ausländischen Kinder und Jugendlichen" vom 9. Dezember 1981 weitergeführt und für den Bereich der Bildungspolitik konkretisiert.

III.

Die Ausländer sind keine homogene Gruppe. Sie gehören einer Vielzahl von Nationalitäten, Sprachen und Kulturen, außerdem verschiedenen christlichen Bekenntnissen und nichtchristlichen Religionen an. Aufgrund ihrer Herkunft aus EG-Staaten mit dem Recht auf Freizügigkeit und aus Nicht-EG-Staaten und aufgrund unterschiedlicher internationaler Abmachungen gelten für sie nicht die gleichen rechtlichen Voraussetzungen. Zudem haben sich im Laufe des letzten Jahrzehnts erhebliche Veränderungen im Altersaufbau, bei der Beschäftigtenquote, beim Anteil von Arbeitnehmern und Familienangehörigen und nicht zuletzt in bezug auf die Herkunftsländer ergeben. Durch die hier geborenen, zugezogenen und aufgewachsenen Kinder und Jugendlichen sind Probleme der Schulausbildung und der beruflichen Qualifizierung größer geworden.

Die zukünftige Ausländerpolitik muß diese erheblichen Unterschiede berücksichtigen. Sie verlangt eine differenzierte Behandlung der Gegebenheiten und besondere Anstrengungen in allen Bereichen der Gesellschaftpolitik. Für diese Aufgabe gibt es keine Patentrezepte; sie ist nur in einem längeren Zeitraum lösbar. Erforderlich ist jedoch, sich jetzt über die ethisch-politischen Ziele und die aktuellen Rahmenbedingungen der Ausländerpolitik klar zu werden und sie so auszugestalten, daß den unterschiedlichen Voraussetzungen besser Rechnung getragen werden kann.

IV.

Das Zentralkomitee tritt dafür ein, das Ausländerrecht neu zu fassen und zu präzisieren. Erforderlich sind überschaubare Bestimmungen, die allen Beteiligten verläßliche Orientierungen geben. Es muß alles getan werden, die bei Ausländern vorhandenen Unsicherheiten über ihre rechtliche Position und ihre Angste vor den Entscheidungen der zuständigen Ausländerbehörden abzubauen. Das Ausländerrecht muß einem Gesamtkonzept der Partnerschaft entsprechen. Es darf kein Zweifel aufkommen, daß die Bundesrepublik Deutschland ein sozialer Rechtsstaat ist, in dem auch die Ausländer ohne Diskriminierung den ihnen zustehenden rechtlichen Schutz beanspruchen können. Wo Konflikte - wie etwa im Falle der Arbeitslosigkeit, bei Familienfragen, bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus der Sozialen Sicherung, bei Anträgen auf Sozialhilfe sowie im Falle der Straffälligkeit - auftreten, muß darauf geachtet werden, daß die ausländerrechtichen Bestimmungen im Einklang mit den verfassungsmäßigen Grundsätzen angewendet werden.

Die~Bestimmungen über den arbeits- und aufenthaltsrechtlichen Status der Ausländer müssen überprüft, der Einzelfallgerechtigkeit muß größerer Spielraum gegeben werden. Dabei sollten den Ausländern mit längerem Aufenthalt mehr Rechte zuwachsen, die sie beim Aufenthaltsrecht, in sozialversicherungsrechtlichen Fragen, bei der Sozialhilfe und auch im Falle der Straffälligkeit zunehmend deutschen Staatsbürgern gleichstellen.

Zwar ist die Bundesrepublik Deutschland kein Einwanderungsland im klassischen Sinne, wir begrüßen aber die Möglichkeiten für Ausländer, nach 10 Jahren Aufenthalt durch Einbürgerung die vollen Rechte und Pflichten eines deutschen Staatsbürgers zu erlangen. Das gilt vor allem für junge Ausländer, die in unserem Land aufgewachsen sind, bei uns Ausbildung oder Beschäftigung gefunden haben und somit heimisch geworden sind.

V.

Die Frage, inwieweit der Nachzug von Kindern der hier beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer und von Ehegatten der zweiten Generation den Ausländern als selbstverständliches Recht zusteht oder wegen der besonderen Bedingungen unseres Landes mehr als bisher eingegrenzt werden soll, war in den letzten Monaten vielfach umstritten. Die Bundesregierung hat sich dafür entschieden, bei der bisherigen  Regelung zu bleiben.

Diese Entscheidung ist zu begrüßen. Gilt es doch, bestehende Sorgen und Ängste bei den ausländischen Mitbürgern abzubauen, eine längerfristige Lebensplanung möglich zu machen und die Bereitschaft zur Integration zu fördern.

Bei den Auseinandersetzungen über die Nachzugsfrage sind in der Öffentlichkeit, auch innerhalb der katholischen Kirche, Fragen nach der Notwendigkeit und nach den Grenzen staatlicher Einflußnahme diskutiert worden. In Übereinstimmung mit der Deutschen Bischofskonferenz, die am 22.11.1984 zur Ausländerfrage Stellung genommen hat, weisen wir auf einige grundsätzliche Zusammenhänge hin, die bei der Klärung dieser Fragen beachtet werden müssen.

Der Staat hat das Recht und auch die Pflicht, über die Zuwanderung von Ausländern zu entscheiden und diese unter Beachtung der geltenden nationalen und übernationalen Rechtsnormen verantwortlich zu regeln. Aufgrund der gegebenen Verhältnisse kann der Staat nicht darauf verzichten, den Anwerbestopp aufrechtzuerhalten, die illegale Einwanderung zu unterbinden und den Ausländeranteil durch eine Förderung der freiwilligen Rückkehr in Grenzen zu halten, soweit dem nicht das EG-Recht entgegensteht.

Der Staat muß aber auch die grundlegenden Rechte der ausländischen Arbeitnehmer auf das Zusammenleben in Ehe und Familie sowie das Recht, für ihre minderjährigen Kinder zu sorgen und deren Aufenthalt zu bestimmen, achten. Bei der Realisierung dieser Rechte ist den ausländischen Arbeitnehmern, die sich mit entsprechender Aufenthaltserlaubnis oder daran anschließender Aufenthaltsberechtigung darauf eingerichtet haben, ständig oder doch jedenfalls längerfristig in unserem Lande zu leben, ein besonderer Schutz ihres Vertrauens zu garantieren.

Der Staat hat allerdings auch zu beachten, daß mit dem Familiennachzug eine weitere Zuwanderung von Ausländern verbunden ist, die die Schwierigkeiten der Eingliederung und die Anforderungen an unser Gemeinwesen erhöhen kann. Mit jeder Zuwanderung übernimmt der Staat nämlich eine besondere Verantwortung. Er hat dafür zu sorgen, daß die im Wege der Familienzusammenführung auf Dauer zu uns kommenden Kinder und Ehegatten auch eine realistische Chance erhalten, die deutsche Sprache zu lernen, sich beruflich zu qualifizieren und sich wirtschaftlich, sozial und kulturell einzugliedern.

Von diesen Grundsätzen und Überlegungen, die für das Gemeinwohl unverzichtbar sind, muß sich der Staat bei der notwendigen Abwägung aller in Frage kommenden Aspekte für eine politisch zu verantwortende Lösung leiten lassen. Nur ein Ausgleich, der den Erfordernissen aller in unserer Gesellschaft lebenden Menschen und den Grundrechten der Einzelnen gleichermaßen gerecht zu werden sucht, kann zu einem tragfähigen Ergebnis führen. Dabei hat auch der Beitrag der ausländischen Wohnbevölkerung zu Kultur und Gemeinsinn, zu Kaufkraft und Steueraufkommen und zum System der Sozialen Sicherung großes Gewicht. Bei alledem ist heute auch in den Blick zu nehmen, daß gemeinwohlgerechtes Handeln nationalstaatliches Denken im engeren Sinn übersteigen und europäische Zielsetzungen einbeziehen muß.

Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sle auf dieser Grundlage die Ausländerpolitik weiterentwickelt. Sie muß ihre Entscheidungen vor der Öffentlichkeit so begründen, daß sie für Ausländer und Deutsche gleichermaßen einsichtig und verständlich sind.

VI.

Die neue Ausländerpolitik muß für die ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familien - sei es, daß sie auf Zeit oder auf Dauer bleiben - bessere Möglichkeiten zur Erleichterung ihrer Eingliederung schaffen. Insbesondere müssen größere Anstrengungen durch wohnungs- und bildungspolitische Maßnahmen unternommen werden. Es geht nicht an, daß Ausländer trotz vielfältiger Bemühungen manchenorts ohne zureichende Wohnung und deswegen ständig der Befürchtung ausgesetzt sind, ausgewiesen zu werden. Die Bildungsangebote für ausländische Kinder und Jugendliche sind im Hinblick auf die sehr unterschiedlichen Voraussetzungen, die sie mitbringen, zu verbessern. Auch im Kindergarten, in Vorschule und Schule sowie bei der beruflichen Vorbereitung und Ausbildung müssen noch mehr, als es bereits geschieht, die unterschiedlichen Bedürfnisse und regionalen Besonderheiten berücksichtigt werden. Das zu verwirklichen, führt nicht nur zu finanziellen Konsequenzen, erforderlich ist auch ein Vorgehen, das an den individuellen Fähigkeiten ansetzt.

Alle diese Maßnahmen müssen es ausländischen Mitbürgern ermöglichen, so im beruflichen, gesellschaftlichen und gemeindlichen Leben Fuß zu fassen, daß die Gefahren sozialer Randständigkeit abgebaut werden und daß die Kluft zwischen ihnen und Deutschen überwunden wird.

VII.

Unentbehrliche Voraussetzung für ein partnerschaftliches Zusammenleben ist die Mitwirkung der Ausländer selbst. Sie können ihrerseits viel tun, um die erforderlichen sprachlichen und beruflichen Voraussetzungen zu erwerben und daran mitzuwirken, ihre Stellung in unserer Gesellschaft zu festigen.

Der Zusammenhalt der Familie ist für die Integration von Eltern und Kindern in die hiesigen Lebensverhältnisse besonders wichtig. Ausländische Eltern sollten daher darauf bedacht sein, ihre Kinder so früh wie möglich zu sich zu nehmen und alles zu tun, damit sie die hier gebotenen Bildungs- und Ausbildungschancen wahrnehmen. Die Rücksicht auf das Wohl ihrer Kinder verpflichtet sie dazu. Dies umso mehr, wenn sie in unserem Land auf Dauer leben sollen.

Manche Gruppen von Ausländern haben besondere Schwierigkeiten, sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden, weil ihre religiösen und nationalen Traditionen es ihnen schwermachen, unsere Wertvorstellungen und die Grundlagen unserer politischen Ordnung zu verstehen. Ausländern und Deutschen müssen diese Unterschiede und ihre Ursachen bewußt gemacht werden. Von deutschen und ausländischen Mitbürgern ist hier ein hohes Maß von Einfühlungsvermögen und Behutsamkeit gefordert. Dadurch lassen sich bereits in der Kindererziehung und durch den Dialog der Erwachsenen Ansätze für Konflikte und ausländerfeindliche Reaktionen ausräumen.

Zur Würde des Menschen gehört die Verwurzelung in der Gemeinschaft seines Volkes. Als Christen bekennen wir uns aber auch zur Einheit des Menschengeschlechts in der Schöpfung und zur Verbundenheit aller Menschen in Christus. Diese Einheit im konkreten Miteinanderleben von Ausländern und Deutschen zu bezeugen, ist unsere Aufgabe.


Beschlossen vom Geschäftsführenden Ausschuss des Zentralkomitees der deutschen Katholiken am 21. Dezember 1984

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