Zur Bildungs- und Lebenssituation der ausländischen Kinder und Jugendlichen

Erklärung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

Zusammenleben mit den ausländischen Mitbürgern

Das Zusammenleben mit den ausländischen Mitbürgern und die Zukunft der ausländischen Kinder stellt für unsere Gesellschaft ein zentrales Problem dar. Sein Ausmaß und sein Gewicht werden oft noch zu wenig erkannt. Im November 1973 hat die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland zum Problem der ausländischen Arbeitnehmer Stellung genommen. [ 1)] Sie hat Grundsätze und Forderungen aufgestellt, die auch heute noch wegweisend sind. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken betrachtet es in der gegenwärtigen Situation als eine vorrangige Aufgabe, unsere Verantwortung in diesem Bereich erneut bewußt zu machen und mitzuhelfen, daß das notwendige Umdenken auf breiter Basis vollzogen wird. Nur so können Maßnahmen von  Regierung, Behörden und Institutionen wirksam werden. Das Zentralkomitee will insbesondere auf die Lage der ausländischen Kinder und Jugendlichen in unserem Land aufmerksam machen, Möglichkeiten konkreter Hilfe aufzeigen und zur Verbesserung ihrer vorschulischen, schulischen und beruflichen Förderung Anregungen geben. Es knüpft damit an die Vorschläge zur Integration ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familien im kirchlichen und gesellschaftlichen Bereich an, die die Gemeinsame Konferenz der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken im Juni 1979 beschlossen hat. [ 2)] Indem es die dort genannten Forderungen für den Bereich der Bildungspolitik konkretisiert, verdeutlicht es eine wichtige Teilaufgabe und  weist zugleich auf den größeren Zusammenhang hin, in dem sie zu sehen ist.

Veränderte Situation

Wichtig ist zunächst die Erkenntnis, daß sich die Problemlage seit 1973 verschoben und in mancher Hinsicht verschärft hat. Aus der damals schon feststellbaren Tendenz vieler ausländischer Mitbürger, langfristig in der Bundesrepublik zu bleiben, ist ein Faktum geworden, das weitreichende Folgen hat. Über zwei Drittel sind bereits mehr als 6 Jahre in unserem Land, viele sogar mehr als 10 Jahre.  Innerhalb der ausländischen Wohnbevölkerung hat sich eine Umschichtung vollzogen, die die Herkunftsländer, die Beschäftigtenquote und den Altersaufbau betrifft. Unter den Nationalitäten sind die Türken mit weitem Abstand an die erste Stelle gerückt. Der Nachzug von Familienangehörigen hat den Anteil von Nichterwerbstätigen stark erhöht. Er wirkte sich vor allem auf die Zahl der Ausländerkinder aus, die sich durch den Anstieg der Ausländergeburten in unserem Land zusätzlich vergrößerte.

Rund eine Million Ausländer unter 16 Jahren aus den sechs Entsendestaaten leben bei uns. Von den etwa 552.000 ausländischen Schülern, die eine allgemeinbildende Schule besuchen, sind nur ca. 14% in einer Realschule oder einem Gymnasium. Von den mehr als 200.000 ausländischen Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren erhalten 90.000 oder 57% überhaupt keine, wenn auch noch so minimale berufliche Qualifizierung. Die Berufsschulpflicht erfüllt höchstens die Hälfte der berufsschulpflichtigen ausländischen Jugendlichen (statistische Angaben von 1979 und 1980).

Die größten Schwierigkeiten ergeben sich bei jenen Schülern, die erst im Grund- und Hauptschulalter ("Seiteneinsteiger") oder gar erst im Berufsschulalter ("Späteinsteiger") eingereist sind. Ihr Anteil in der Altersgruppe der 15- bis 25-jährigen ist noch sehr hoch. Von ihnen haben weniger als die Hälfte in der Bundesrepublik überhaupt eine allgemeinbildende Schule besucht. Die Nachwirkungen der späten Einreise sind in nahezu allen Fällen deutschsprachliche Defizite und als deren Folge das Fehlen des Hauptschulabschlusses Chancen, ein Ausbildungsverhältnis zu finden, haben diese Jugendlichen so gut wie keine. Gefährdet ist damit nicht nur die berufliche und soziale Eingliederung in der Bundesrepublik. Eine gute berufliche Ausbildung ist auch die beste Voraussetzung, um sich  bei einer möglichen Rückkehr in das Heimatland der Eltern eine Existenz aufzubauen.

Zu diesen schwerwiegenden Problemen kommen sehr unterschiedliche Umstände hinzu, die eine differenzierte Behandlung erforderlich machen: die Unsicherheit bezüglich der Aufenthaltsdauer, das Wohnen in geschlossenen Gruppen oder verstreut vor allem in ländlichen Räumen, die Zugehörigkeit zu einer Vielzahl von Nationalitäten, Sprachen und Kulturen, zu verschiedenen christlichen und islamischen Bekenntnissen und zu EG- oder Nicht-EG-Staaten. Für eine rechtverstandene Integration, die das Miteinanderleben aller unterschiedlichen Gruppen zum Ziel hat, fehlen trotz positiver  Ansätze und erster Ergebnisse noch immer die Rahmenbedingungen, welche die unterschiedlichen Voraussetzungen genügend berücksichtigen. [ 3)]

Gewandelt hat sich jedoch auch die Situation der einheimischen Bevölkerung. Erst jetzt nimmt sie wirklich zur Kenntnis, daß die Ausländerbeschäftigung keine vorübergehende, sondern eine  Dauererscheinung ist. Angesichts der Grenzen wirtschaftlichen Wachstums, der damit zusammenhängenden Arbeitslosigkeit und der aufkommenden Zukunftsangst führt diese Erkenntnis zunehmend zu Äußerungen von Fremdenfeindlichkeit. Andererseits tragen die ausländischen Arbeitnehmer dazu bei, daß bei sinkenden deutschen Geburtenraten der wirtschaftliche Wohlstand und die soziale Sicherheit gewährleistet bleiben. Daher muß es im Interesse unseres Landes, aber ebenso sehr der ausländischen E1tern liegen, daß ihre Kinder und Jugendlichen Bildungs- und Ausbildungschancen in gleichem Maß wahrnehmen wie deutsche Kinder. Nur so haben sie die Möglichkeit, sich unter Wahrung ihres kulturellen, religiösen und sprachlichen Herkommens einzugliedern, ihren Beitrag zur kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ihrer Wahlheimat zu leisten und frei darüber zu entscheiden, ob sie später in das Herkunftsland zurückkehren, um sich dort eine neue Existenz aufzubauen.

Nur eine vorurteilsfreie und realistische Einstellung hilft weiter

So unaufschiebbar politische Entscheidungen geworden sind, um die Lage der ausländischen Kinder und Familien wirksam zu verbessern, dem weiteren Zustrom von Ausländern zu begegnen und Rückkehrmöglichkeiten zu verstärken, so notwendig ist es andererseits, auf eine positive Einstellung zu den in der Bundesrepublik lebenden Ausländern hinzuwirken. Instinktive Abwehrreaktionen gegenüber dem Fremdartigen und verständliche Angst vor Konkurrenz am Arbeitsplatz, vor Unannehmlichkeiten und Belastungen stehen ihr in vielen Fällen im Wege. Moralische Appelle allein helfen nicht weiter; gefordert ist eine realistische Sicht der Dinge, welche die tatsächlichen Schwierigkeiten nicht verharmlost. Einerseits darf unsere Verantwortung für die unter uns lebenden Ausländer nicht in Zweifel gezogen werden. Die erforderlichen Maßnahmen zur gesellschaftlichen Eingliederung sind nüchtern zu prüfen und im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten durchzuführen. Andererseits ist es angesichts der gesellschaftlichen Probleme, die ein steigender Ausländeranteil mit sich bringt, und auch der schwieriger gewordenen Lage der Bundesrepublik Deutschland dringend erforderlich, die weitere Aufnahme von Ausländern quantitativ wirksam den Möglichkeiten unseres Landes anzupassen und insbesondere illegale Zuströme zu unterbinden. Rückkehrbereitschaft und Rückkehrfähigkeit sind mit allen Kräften, auch mit kapitalbildenden Maßnahmen (Arbeitnehmerkassen) zu unterstützen.

Information tut not

Oft sind Vorurteile und Berührungsängste abzubauen, die in ungerechtfertigten Verallgemeinerungen ihre Ursache haben. Es muß immer wieder ins Bewußtsein gerufen werden, daß die Ausländer keine homogene Gruppe darstellen, sondern daß die Vielfalt der Nationalitäten und Kulturen sowie der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse eine ebenso große Mannigfaltigkeit der Lebensformen, Gebräuche und Meinungen zur Folge hat und daß deshalb Einzelerscheinungen hier noch weniger als sonst Grundlage für Pauschalurteile sein können. Wichtig ist ferner eine sachliche Aufklärung über die Gründe der Ausländerbeschäftigung und den wirtschaftlichen Nutzen, den unser Land daraus zieht. Wir waren es, welche die Ausländer angeworben haben; daher tragen wir für sie besondere Verantwortung. Die Massenmedien müssen zu der erforderlichen Information verstärkt beitragen, zumal extreme politische Kräfte sich regen, welche die verbreitete Unkenntnis verantwortungslos ausnützen.

Gemeinsame Erziehung bejahen

Da die gemeinsame vorschulische und schulische Erziehung mit deutschen Rindern als der Weg anzusehen ist, der den Bedürfnissen der Ausländerkinder grundsätzlich am besten gerecht wird, ist es notwendig, daß die einheimische und die ausländische Bevölkerung diese gemeinsame Erziehung bejaht; nur dann kann sie sich zum Wohl der Kinder optimal auswirken. Das macht aber eine psychologische Vorbereitung der deutschen Eltern erforderlich. Elternabende in Kindergarten und Schule sowie kirchliche Bildungsarbeit können dazu einen Beitrag leisten. Außerdem muß den deutschen Eltern durch geeignete Maßnahmen die Furcht vor Überfremdung und Benachteiligung der eigenen Kinder genommen werden. Das gilt besonders dort, wo deutsche Kinder zur Minderheit in ihrer Schule werden.

Mehr Offenheit und Verständnis

Nötig sind ferner mehr Offenheit und Verständnis für die Situation und Probleme der Ausländerkinder und ihrer Familien. Nicht nur fehlt ihnen die Vertrautheit mit den hiesigen Lebensverhältnissen, auf die sie nicht vorbereitet sind, sondern mehr noch erschweren die Sprachschwierigkeiten ihnen das Leben in unserem Land. Die Rinder haben, wenn sie erst im Schulalter hierher kommen, wenig vorschulische Förderung erfahren. Sie haben vielfach auch in ihrer Muttersprache keine ausreichenden Kenntnisse, da in den Familien oft nur Dialekt gesprochen wird. Durch das Erlernen der deutschen Sprache und den notwendigen zusätzlichen Unterricht in der Muttersprache sind sie häufig überfordert. Von den Eltern können sie nicht viel Unterstützung erwarten, da diese selbst meist nur eine geringe Schulbildung haben und kaum Deutsch sprechen. Oft haben die Kinder jahrelang den Vater, manchmal auch die Mutter entbehren müssen, die schon in der Bundesrepublik arbeiteten, während sie noch in ihrem Heimatland zurückblieben.

Hinzu kommt die schwierige innere Situation der Familien. Die in den Herkunftsländern oft nicht übliche Erwerbstätigkeit beider Elternteile überfordert die Frauen und beeinträchtigt das Familienleben. Die besseren Sprachkenntnisse der Kinder, die die deutsche Schule besuchen, führen nicht selten zu Autoritätsverlust der Eltern. Das Vertrautwerden der Rinder mit deutschen Verhältnissen und  Lebensauffassungen hat Normenkonflikte zur Folge und entfremdet häufig die Kinder von ihren Eltern. Unsicherheit hinsichtlich der Dauer des Aufenthalts! und der Wunsch, möglichst viel zu verdienen und zu sparen,; tragen mit zu den meist schlechten Wohnverhältnissen bei, unter denen die Kinder leiden.

Beziehungen schaffen

All das fordert zu mitmenschlicher Haltung und zur Entwicklung eines partnerschaftlichen Verhältnisses zwischen der deutschen und der ausländischen Bevölkerung heraus. Es darf nicht sein, daß beide beziehungslos nebeneinander herleben, die ausländischen Mitbürger sich mehr und mehr isolieren und die deutschen Bürger aus Vorurteilen oder Furcht den Kontakt meiden. Im gegenseitigen Aufeinanderzugehen werden die Einheimischen in der Regel den ersten Schritt tun müssen, weil sie sich in der günstigeren Ausgangslage befinden. Diese darf jedoch nicht dazu führen, die Beziehungen im Sinn einseitiger Betreuung oder gar Bevormundung mißzuverstehen. Gefordert ist mitmenschliches Sichöffnen und brüderliche Hilfsbereitschaft bei Achtung der Mentalität, Entscheidungsfreiheit und Eigenverantwortung des ausländischen Partners.

Ein wirksamer Ausdruck christlichen Handelns ist das konkrete Engagement im eigenen Lebensumkreis, wie es z.B. Eltern von Schulkindern üben, die Freundschaften ihrer Kinder mit Ausländerkindern fördern, Hausaufgaben gemeinsam mit den eigenen Kindern anfertigen lassen oder bei der organisierten Hausaufgabenhilfe mithelfen und den ausländischen Eltern in schulischen Angelegenheiten mit Informationen, Rat und als Vermittler zur Seite stehen. In Zukunft müßte es auch in stärkerem Maß gelingen, durch gemeinsame Teilnahme der Kinder an sportlichen und musischen Betätigungen in Gruppen oder Vereinen die Kontakte zu erweitern.

Achtung fremder Kultur

Zur menschlichen Anerkennung und Solidarität, die wir den ausländischen Mitbürgern schulden, gehört auch die Achtung vor ihrer Sprache und Kultur. Es gilt, die in anderen Lebens-und Denkweisen enthaltenen humanen Werte anzuerkennen, kulturelle und nationale Besonderheiten zu respektieren und die Bewahrung und Pflege unterschiedlichen Brauchtums zu unterstützen. Auch sollte das Erlernen einer fremden Sprache nicht einseitig nur von den ausländischen Mitbürgern erwartet werden. Es wäre der gegenseitigen Verständigung und Annäherung sicher dienlich, wenn auch Deutsche mehr als bisher die Sprache ihrer Nachbarn erlernten. Kenntnisse über die Herkunftsländer und ihre Geschichte, auch über den Islam, erleichtern das Verständnis für vieles, was fremdartig erscheint. Einrichtungen der Erwachsenenbildung sollten sie in verstärktem Maße vermitteln.

Lernbereitschaft muß von beiden Seiten erwartet werden

Ein verständnisvolles Zusammenleben von Ausländern und Deutschen hängt andererseits auch von der Lernbereitschaft und Aufgeschlossenheit der ausländischen Mitbürger ab. Informationsabende, Bildungsveranstaltungen, Familienfreizeiten, bei denen Ausländer und Deutsche sich begegnen, können zur Aufklärung über Lebensart und Wertvorstellungen der neuen Umgebung beitragen und  Gemeinsamkeit in Grundüberzeugungen fördern. Auch von allen Ausländern, die in der Bundesrepublik arbeiten und wohnen, muß erwartet werden, daß sie die Bedingungen eines demokratischen Rechtsstaates als Grundlage des Zusammenlebens respektieren.

Wir sind, ohne es gewollt zu haben, auf dem Weg zu einer Gesellschaft, die auch anderen Kulturen als der eigenen Entfaltungsmöglichkeiten einräumen muß. Dieser Wandel greift tief in das Leben der einzelnen und der Gesellschaft ein. Er wird auch im Bereich der Kulturpolitik neue Orientierungen erforderlich machen. Wir müssen uns dabei bewußt sein, daß das Zusammenleben mit Menschen aus anderen Ländern menschlich und kulturell bereichern und belebende Rückwirkungen auf die heimische Gesellschaft haben kann; daß indessen auch Konflikte mit eigenen unverzichtbaren Wertanschauungen entstehen können und wir dabei unseren ausländischen Partnern, wie auch unseren Mitbürgern, einen klaren und entschiedenen Standpunkt schuldig sind.

II.

Erfordernisse im Bildungsbereich

Das Bildungsangebot für ausländische Kinder und Jugendliche ist in der Bundesrepublik trotz vielfältiger Bemühungen noch unzureichend. Andererseits sind die betroffenen Kinder und Jugendlichen wegen mangelnder Vorbereitung sehr oft nicht in der Lage, das bestehende Angebot wahrzunehmen. Das Grundproblem, daß es sich bei ihnen um eine höchst inhomogene Gruppe handelt, hinsichtlich ihrer Herkunftsländer, ihrer religiösen und kulturellen Traditionen wie auch im Hinblick auf ihre schulische Vorbildung und ihre Deutschkenntnisse, macht ihre vorschulische, schulische und berufliche Förderung so schwierig. Aus diesen Gründen können nur Maßnahmen zum Erfolg führen, die bei vorgegebenem Rahmen die unterschiedlichen Bedürfnisse der Zielgruppen und etwaige regionale Besonderheiten angemessen berücksichtigen.

Ziel aller bildungspolitischen Maßnahmen muß sein, die individuellen Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen so zu fördern, daß die soziale Randständigkeit der ausländischen Familien abgebaut und sie stärker in das berufliche, gesellschaftliche und gemeindliche Leben einbezogen werden können. Daneben müssen alle Möglichkeiten zur Bewahrung der nationalen und kulturellen Identität ausgeschöpft  werden. Hier stellt sich eine der schwierigsten Aufgaben. Die Pflege der Muttersprache ist nicht allein für diejenigen wichtig, die ins Entsendeland zurückkehren wollen, sondern ebenso für die Unentschlossenen, wenn ihre Entscheidungsfreiheit gewahrt bleiben soll, aber auch für diejenigen, die auf Dauer in Deutschland bleiben. Es ist ein Grundrecht, eine Muttersprache zu haben. Diesen Anspruch hat auch die EG-Richtlinie vom 25.7.1977 [ 4)] bekräftigt. Die Muttersprache gehört zur Identität der Person, ihre Förderung dient der Persönlichkeitsentfaltung und stärkt die Bindung an die eigene Familie. Das Nebeneinander von zwei Sprachen bringt jedoch für die ausländischen Kinder sehr oft auch Schwierigkeiten mit sich, die nicht unterschätzt werden dürfen. Nicht selten sind die Kinder in keiner der beiden Sprachen wirklich zu Hause. Patentlösungen gibt es hier nicht. Die Eingliederung kann sich nicht im Zeitmaß einer Generation vollziehen.

1. Vorschulische Forderung

In Anbetracht der spezifischen Belastungen und der sprachlichen Situation der ausländischen Kinder kommt ihrer vorschulischen Erziehung und Förderung besondere Bedeutung zu. Mit den vielfältigen Entwicklungschancen und Kontaktmöglichkeiten zwischen deutschen und ausländischen Kindern, die der Kindergarten bietet, vermag er das ausländische Kind - im Zusammenwirken mit den Eltern - aus seiner Isolation herauszuführen. Über seine familienergänzende Funktion hinaus kann er zu einer Begegnungsstätte und zur Lebenshilfe für Kinder und Eltern werden. Um so nachteiliger wirkt sich der Mangel an Kindergartenplätzen in Wohn- bzw. Arbeitsplatznähe ausländischer Eltern aus. Die Versorgung ausländischer Kinder mit Kindergartenplätzen erreichte 1979 im Bundesdurchschnitt 44%; bei deutschen Kindern war sie 76%. Diese Durchschnittszahlen unterliegen großen Schwankungen, vor allem besteht noch immer ein großer Fehlbedarf in Ballungsgebieten, zumal der Anteil der ausländischen Kinder noch ansteigt. Das bestehende Angebot zu erweitern ist ein erstes, dringendes Erfordernis.

Da die Institution Kindergarten in einigen Herkunftsländern gänzlich oder zumindest in ihrer uns geläufigen Prägung unbekannt ist, sind vielfach bei den ausländischen Familien mentalitäts- und kulturell bedingte Hemmnisse zu überwinden. Hier bedarf es eingehender Information über den deutschen Kindergarten, seine familienergänzende und bildungsfördernde Erziehungsaufgabe. Zu dieser Informations- und Werbungsaufgabe sollten auch die Entsendeländer ihren Beitrag leisten.

In der gemeinsamen Erziehung mit den deutschen Spielgefährten hat das ausländische Kind die Chance, in die deutsche Sprach- und Lebenswelt hineinzuwachsen, wodurch die Grundlagen für Schulerfolg und soziale Integration gelegt werden. Zu vermeiden sind nationale Kindergärten, weil sie das Problem der Orientierung in einer andersartigen Umwelt eher verschärfen.

In Ergänzung dieser Förderung bedarf das ausländische Kind zur Identitätsfindung und Stärkung seiner familiären Bindung auch der Förderung in seiner Muttersprache und der heimischen Kultur. Ein allmähliches Hineinwachsen in beide Kulturwelten - im Zusammenwirken von deutschen und ausländischen Pädagogen - wird seinen Bedürfnissen am besten gerecht. Die in einigen Kindergärten entwickelten bikulturellen Konzepte haben interessante pädagogische Ergebnisse erbracht, die nunmehr auf ihre finanzielle und organisatorische Übertragbarkeit hin erprobt werden sollen.

Freilich muß allen klar sein, daß es angesichts der ungleichmäßigen Wohnverteilung der ausländischen Bevölkerung allgemeingültige Lösungen nicht geben kann. Besondere Probleme ergeben sich dort, wo  ausländische Kinder verschiedener Nationalität denselben Kindergarten besuchen und die Bildung von Gruppen gleicher Nationalität kaum mehr möglich ist. Die Verteilung nach Nationalitäten mittels eines speziellen Transportsystems kann vorab eine Notlösung sein; sie ist für kleine Kinder aber auch problematisch und scheitert nicht selten an der Finanzierung und an der Wahlfreiheit des Kindergartenorts. Die multikulturelle Zusammensetzung zahlreicher Ausländergruppen ist auf ihre Wirksamkeit im Sinne von Integration (nicht Assimilation) zu überprüfen. Die Erkenntnisse aus den bilingualen Versuchen sollten auch in diesen Einrichtungen verwertet werden.

Muslimische Kinder in katholischen Kindergärten?

Eine brennende Frage ist die Aufnahme von Kindern aus nichtkatholischen und insbesondere muslimischen Familien in einen katholischen Kindergarten. Innerhalb der Kirche werden zu diesem Problem zum  Teil gegensätzliche Auffassungen vertreten, und es sind unterschiedliche Regelungen getroffen worden. Bei dieser schwierigen Frage müssen aus katholischer Sicht verschiedene Leitlinien für christliches Handeln beachtet werden. Denn es handelt sich um einen ernst zu nehm enden Zielkonflikt zwischen dem ganzheitlichen Erziehungsauftrag des katholischen Kindergartens auf der einen und der pädagogischen und sozialen Verantwortung für ausländische Kinder auch aus muslimischen Familien auf der anderen Seite.

Es steht für uns fest, daß der katholische Kindergarten seinem Erziehungsauftrag auf der Grundlage unseres Glaubens und in Verbindung mit der Kirchengemeinde treu bleiben muß. Er darf sich aber auch der Verpflichtung gegenüber den andersgläubigen ausländischen Kindern nicht ohne weiteres entziehen, vor allem wenn nichtkonfessionelle Einrichtungen im umliegenden Wohnbereich fehlen. Das katholische Kindergartenangebot ist nicht eine Alternative zu einem neben ihm bestehenden Regelangebot, sondern es ist Teil des pluralen allgemeinen Angebotes "Kindergarten", dem das Recht der Eltern auf freie Wahl der ihren Vorstellungen am ehesten entsprechenden Einrichtung gegenübersteht. Dieses Wahlrecht der Eltern steht auch den unter uns lebenden Muslimen zu. Wählen sie einen katholischen Kindergarten für ihre Kinder, sind sie über dessen erzieherische Ausrichtung ausreichend zu informieren.

Zwei Forderungen müssen im Fall der Aufnahme muslimischer Kinder in einen katholischen Kindergarten gestellt werden: Ihre Zahl darf einen bestimmten (festzulegenden) Prozentsatz nicht übersteigen. Die gebotene Rücksichtnahme gegenüber anderen religiösen Überzeugungen darf nicht dazu führen, daß den katholischen Kindern gegenüber die katholische Prägung der Erziehung verlorengeht. Das verlangt  von den Erziehern viel pädagogisches Geschick, theologische Kenntnis und eine erhöhte Verantwortung. Vertretbare und praktikable Lösungen müssen je nach den örtlichen Verhältnissen gefunden werden. Auf ein enges Zusammenwirken von Erziehern und Eltern wird es dabei in besonderem Maße ankommen.

Qualität gewährleisten

Es wäre unverantwortlich, dem Kindergarten neue Aufgaben aufzubürden, ohne für eine entsprechende Qualifizierung der Erziehungsarbeit und der Ausstattung der Kindergärten Sorge zu tragen. Notwendig sind - und dies muß auch in bedrängter finanzpolitischer Situation festgestellt werden - außer der Schaffung weiterer Kindergartenplätze für ausländische Kinder: die Verbesserung des Personalschlüssels, die Verringerung der Gruppenstärken und damit eine pädagogisch vertretbare Begrenzung des Anteils ausländischer Kinder in den Gruppen, die Ausstattung mit geeigneten Medien, mehr Verfügungszeiten für die Erzieher sowie gemeinsame Fortbildungsangebote für ausländische und deutsche Erzieher. Zu fördern ist auch die sozialpädagogische Ausbildung ausländischer Jugendlicher der zweiten Generation als  Erzieherinnen in Kindergärten. Die Arbeit des Kindergartens sollte schließlich in eine übergreifende, familienbezogene Stadtteilarbeit eingebettet sein. Auf das gemeinsame Bemühen und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Beteiligten kommt es in der gegenwärtigen Situation vor allem an.

2. Schule

Die Schule hat die ausländischen Kinder und Jugendlichen in ihrer Entwicklung so zu fördern, daß ihnen ein Höchstmaß an Chancengerechtigkeit ermöglicht wird. Wichtigstes Ziel ist der erfolgreiche Abschluß eines Bildungsweges. Zugleich bietet die Schule vielfältige Felder für ungezwungene Kontakte, offenes Aufeinanderzugehen und gegenseitiges Kennen- und Verstehenlernen zwischen deutschen und ausländischen Kindern und Eltern. Vom menschlichen Klima in der Schule, vom Umgang zwischen Lehrer und Schüler hängt sehr viel ab. Hier wird in vielen Fällen soziale Integration grundgelegt.

Zu viele ausländische Schüler verlassen die Schule ohne Abschluß. Der Hauptschulabschluß in der Bundesrepublik stellt aber für die meisten Ausbildungswege d i e Einlaßkarte in das berufliche Bildungssystem dar. Deshalb muß alles unternommen werden, um möglichst vielen jungen Ausländern einen Hauptschulabschluß zu vermitteln. Neben der sprachlichen Förderung sind hierfür bei den Schülern in der Regel auch Kenntnislücken in Grundlagenfächern (Mathematik, Sachkunde) zu schließen. Um Schüler mit mangelnden Deutschkenntnissen möglichst schnell an den Stand einer Regelklasse heranzuführen, sind entsprechende Vorbereitungsklassen einzurichten, müssen unter Umständen besondere Sprachförderungskurses eingefügt werden.

Damit die Ausländerkinder sich ihrer eigenen Herkunft nicht entfremden, sollte der muttersprachliche Unterricht nach Möglichkeit in den normalen Pflichtunterricht einbezogen und die begleitende Begegnung  mit dem Volkstum und Kulturkreis des ausländischen Schülers gefördert werden. Dem Elternwillen kommt bei der Entscheidung, ob muttersprachliche Klassen einzurichten sind oder die Kinder in die deutsche Regelklasse kommen sollen, vor allem auch im Hinblick auf die Rückkehrabsicht, eine besondere Bedeutung zu.

Wenn Eltern dies wünschen, sollte im Sinne des Beschlusses der Kultusministerkonferenz vom 26.10.1979 in den allgemeinbildenden Schulen für diese Kinder, die bereits Deutsch als erste Fremdsprache  gelernt haben, ihre Muttersprache anstelle der für die deutschen Kinder üblichen ersten Fremdsprache eingebracht werden können. Über Schwierigkeiten bei Schulübergängen müssen die Eltern ausreichend informiert werden. Allgemein muß die Lehrerausbildung für Deutsch als Fremdsprache verbessert werden.

Wegen der zu erstrebenden Integration sollten Klassen mit deutschen und ausländischen Kindern die Regel sein. Unter bestimmten Umständen, so z.s. bei nicht ausreichenden sprachlichen Voraussetzungen der ausländischen Schüler und in Ballungsgebieten, in denen mehr Ausländer als Deutsche wohnen, lassen sie sich nicht verwirklichen. In Klassen für ausländische Schüler müssen besondere unterrichtliche und außerunterrichtliche Angebote die fehlende schulische Begegnung zwischen deutschen und ausländischen Kindern auszugleichen versuchen. Diese Klassenbildung ist auch erforderlich, um zu verhindern, daß deutsche Kinder sich in ihrer Lerngruppe als Minderheit erfahren, auch wenn sie Minderheit in ihrer Schule sind. In diesem Zusammenhang darf auch der schwierigen Frage des Ausgleichs des  Ausländeranteils zwischen einzelnen Schulen nicht ausgewichen werden.

Eine wichtige Hilfe für die ausländischen Schüler stellen die außerschulischen Sprach-, Lern- und Hausaufgabenhilfen dar. Diese überwiegend von freien Trägern organisierten Maßnahmen müssen auch in Zukunft aus öffentlichen Mitteln nachhaltig gefördert werden. Im Sport, in den technischen und musischen Fächern, vor allem auch durch Freizeitangebote für deutsche und ausländische Kinder und Schulfeste mit folkloristischen Darbietungen kann die Schule das Heimischwerden und den Schulerfolg ihrer ausländischen Schüler zusätzlich fördern. Sprachbarrieren spielen hier eine verhältnismäßig geringe Rolle. Um so eher können ausländische Schüler dabei eigene Leistung und Anerkennung durch ihre deutschen Mitschüler erfahren und Gemeinschaft mit Gleichaltrigen erleben. Auch im Blick auf die Integration der ausländischen Schüler muß eine Stärkung der musischen Fächer gefordert werden.

Verantwortung des Lehrers

Entscheidendes hängt von der Einstellung des Lehrers ab. Ein Lehrer, der mit Verständnis und pädagogischem Geschick seinen ausländischen Schülern begegnet, der die besonderen Schwierigkeiten kennt, die sie an deutschen Schulen vorfinden, und auch außerhalb der Schule zur Hilfe bereit ist, wird mit seinem Engagement die Eingliederung und den Bildungsweg dieser Schüler wesentlich erleichtern. Ausländische Schüler, die sich von ihrem Lehrer angenommen fühlen und Vertrauen zu ihm haben, werden eher bereit sein, von sich aus Barrieren zu überwinden, und sie werden sich leichter in die ihnen ungewohnten schulischen Verhältnisse einfügen.

Es ist wichtig, daß der Lehrer sich Grundkenntnisse der Muttersprache seiner Schüler aneignet, um sich zumindest in Redewendungen mit ihnen in ihrer Muttersprache verständigen zu können. Er sollte den Kontakt zu den Eltern suchen, um deren Vertrauen zu gewinnen, zumal sie sehr unterschiedliche Erwartungen an das deutsche Schulsystem richten. Unerläßlich sind Kenntnisse kultureller und religiöser  Eigenarten wie auch des Moralkodexes, dem zum Teil ausländische Mädchen unterliegen. Der Lehrer hat diese Gegebenheiten mit Takt und Feingefühl zu berücksichtigen. Das heißt selbstverständlich nicht, daß er seine eigenen religiösen Überzeugungen verschweigen müßte. Andererseits muß von ausländischen Schülern und ihren Eltern erwartet werden, daß sie die Erziehungsarbeit der Schule nicht durch übertriebenes Beharren auf tradierten Verhaltensweisen erschweren oder unmöglich machen.

Von grundlegender Bedeutung ist, daß im Kollegium einer Schule deutsche und ausländische Lehrer eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten. So allein lassen sich Unterschiede in Erziehungsanschauungen und Unterrichtsstilen ausgleichen. Das Klima gegenseitigen Vertrauens wird sich, und das ist nicht der geringste Nutzen, auf Schüler und Eltern übertragen, die über die entsprechenden Vertretungsgremien in die Zusammenarbeit einbezogen werden müssen. Schulleitungen von Schulen mit hohem Ausländeranteil, aber auch den Lehrern selbst, ist ein erheblicher Ermessensspielraum einzuräumen - zum Beispiel auch in der Lehrplangestaltung -, damit sie auf die vielfältigen pädagogischen Probleme flexibel reagieren können. Rahmen ist dabei die Anbindung an die deutschen Schulabschlüsse.

Die Kultusbehörden der Länder dürfen die Lehrer in den Unterricht mit ausländischen Schülern nicht unvorbereitet entlassen. In der zweiten Phase der Lehrerausbildung muß diese neue Aufgabe einen festen Platz haben. In allen Ländern sollten Lehrstühle für Deutsch als Fremdsprache eingerichtet werden. Umfassende Hilfen in der Fort- und Weiterbildung sind notwendig, organisiert von freien und staatlichen Trägern, bei denen mehr als bisher die Vorbereitung auf die Zusammenarbeit mit ausländischen Kollegen und Eltern einen Schwerpunkt bilden muß.. Zahlreiche Lehrer sing über ihre Berufspflichten hinaus bereit, sich für die Belange ihrer ausländischen Schüler und deren Familien einzusetzen. Dieses so wichtige ehrenamtliche Engagement, bei dem man auch auf die Bereitschaft pensionierter Lehrer und Lehrerinnen zählen kann, ist nachhaltig zu fördern.

Auch an die ausländischen Lehrer, die an deutschen Schulen Dienst tun, richten sich Wünsche und Forderungen. Sie müssen sich als Mittler zwischen ihren Schülern und unserem Land begreifen. Unabdingbar sind eine angemessene Verweildauer, ausreichende Deutschkenntnisse und die Bereitschaft zur Teilna hme an Fortbildungsveranstaltungen. Die Entsendeländer sollten Lehrer für den deutschen Schuldienst in ausreichender Zahl bereitstellen und dafür Sorge tragen, daß diese Lehrer für ihre Aufgaben in Deutschland ausreichend qualifiziert sind, was eine enge Zusammenarbeit zwischen den deutschen Schulverwaltungen und den Entsendeländern erforderlich macht.

Eine Herausforderung für Schulen in freier Trägerschaft

Auch Schulen in freier Trägerschaft sollten sich stärker als bisher den ausländischen Kindern und Jugendlichen zuwenden. Der ihnen zukommende Freiheitsspielraum gibt ihnen die Chance, mutig auch Modelle zu erproben und besondere Formen der Begegnung zwischen Eltern, Lehrern und Schülern zu pflegen. Katholische Schulen haben ihrem spezifischen Erziehungsauftrag gemäß vor allem eine Verpflichtung gegenüber ausländischen Kindern katholischen Bekenntnisses, deren ganzheitliche Erziehung sie in besonderer Weise fördern können.

Bildungsauftrag europäisch verstehen

Es geht schließlich um die Einsicht, daß Schule auch in ihren Bildungszielen und ihrem Erziehungsauftrag der neuen Situation Rechnung tragen muß. Sie kann nicht mehr von der Voraussetzung einer einsprachigen, kulturell geschlossenen Schulbevölkerung ausgehen. In viel stärkerem Maß als früher fällt ihr eine Brückenfunktion zwischen Kulturen und Menschen verschiedener nationaler Herkunft zu. Das macht entsprechende Öffnungen in den Lehrplänen und Schulbüchern erforderlich und verlangt andererseits nach dem vertieften Vermitteln des eigenen nationalen Selbstverständnisses. Der Erziehung zu gegenseitigem Verstehen, zu Achtung fremder Lebensart, Kultur und Religion, aber auch der Erziehung zum Mut, eigene Überzeugungen zu vertreten, kommt in einer Gesellschaft, in der kulturelle Minderheiten leben, große Bedeutung zu. Der Religionsunterricht kann zu dieser Erziehungsaufgabe einen wesentlichen Beitrag leisten.

Berufliche Förderung

Es ist von der Situation auszugehen, daß nahezu 80% der über 120.000 jungen Ausländer im Alter zwischen 15 und 18 Jahren (Angaben von 1979) ohne Ausbildungsvertrag oder arbeitslos sind. Nur 8% der  jungen Ausländer haben eine abgeschlossene berufliche Ausbildung. Von denjenigen, welche die gesamte Schulzeit im Mutterland verbrachten, haben nur 21% diese Schule 8 Jahre oder länger besucht (wobei die Schulpflichtzeiten zwischen 5 und 9 Jahren schwanken). Diese jungen Ausländer können allenfalls eine dort erworbene Allgemeinbildung vorweisen, auf Ausbildungsvoraussetzungen wie beispielsweise den Hauptschulabschluß oder eine der deutschen Ausbildung analoge Qualifikation können sie in der Regel nicht zurückgreifen. Von daher bleibt vielen jungen ausländischen Mitbürgern nur die Aussicht auf eine un- oder angelernte Beschäftigung. Wenn es überhaupt noch zu einem Berufswahlverhalten der ausländischen Jugendlichen kommt, ist dies sehr stark auf solche Berufe beschränkt, die auch deutsche Jugendliche vorziehen. Dies erschwert obendrein die Zugangsmöglichkeiten für ausländische Jugendliche zu Ausbildungsplätzen.

Maßnahmen zur Berufsvorbereitung und sozialen Eingliederung als konkrete Hilfen

Neuere Erkenntnisse, wie sie beispielsweise in der Umstrukturierung der "Maßnahmen zur sozialen und beruflichen Eingliederung" (MSBE) zu "Maßnahmen zur Berufsvorbereitung und sozialen Eingliederung" (MBSE) zum Ausdruck kommen, unterstreichen die Bedeutung und den zentralen Stellenwert von Beruf, beruflicher Ausbildung und damit auch die Unverzichtbarkeit von berufsvorbereitenden Hilfen gerade für eine Eingliederung der sogenannten Späteinsteiger. Hier müssen insbesondere die Angebote der Arbeitsverwaltung genannt werden. Die zwischen Bund, Ländern und Bundesanstalt für Arbeit abgestimmten und von diesen finanzierten Maßnahmen zur Berufsvorbereitung und sozialen Eingliederung junger Ausländer (MBSE) können zumindest als eine Art Überbrückungemaßnahmen gelten, die die Eingliederung in unsere Arbeitswelt erleichtern.

Das vorrangige Ziel aller Maßnahmen ist es, den Jugendlichen die Aufnahme und den erfolgreichen Abschluß eines Ausbildungsverhältnisses zu ermöglichen. Deshalb wird die inzwischen erfolgte Einführung einer entsprechenden sprachlichen Zugangsvoraussetzung begrüßt. Auch ist es wichtig, daß in ausreichender Zahl Plätze in Sprachkursen angeboten werden.

Ohne Zweifel läßt sich der Eingliederungserfolg dieser Maßnahmen noch steigern. So wären beispielsweise hilfreich: die Abstimmung des Berufsschultages mit den Maßnahmen unter der Verantwortung des MBSE-Trägers; die finanzielle Unterstützung auch trägereigener Weiterbildungsmöglichkeiten; die institutionelle Förderung von Ausstattungsinvestitionen für das MBSE-Programm; die Weiterentwicklung bzw. Überführung berufsvorbereitender Maßnahmen in ein Vcrbundsystem beruflicher Förderung und Ausbildung.

Hauptschulabschluß und Berufsbildungsabschluß - wichtige Ziele

Künftig ist ein weiterer Ausbau von Maßnahmen des allgemein- und des berufsbildenden Schulwesens für junge Ausländer und insbesondere für die Gruppe der sogenannten Seiteneinsteiger dringend erforderlich (Berufsgrundschuljahr, Berufsvorbereitungsklassen, zusätzlicher Stützund Förderunterricht in den Berufsschulen). Diese Maßnahmen müssen jedoch konsequent auf das Ziel ausgerichtet werden, möglichst vielen jungen Ausländern den Hauptschulabschluß oder entsprechende Voraussetzungen zum Eintritt in ein Ausbildungsverhältnis zu vermitteln. Die Vergabe der Fördermittel ist vorrangig an diese Zielsetzung zu binden. Unternehmen, die jugendliche Ausländer ohne Hauptschulabschluß beschäftigen und ihnen ermöglichen, den Hauptschulabschluß neben der Arbeit im Betrieb zu erwerben, verdienen besondere Anerkennung.

Ist der Hauptschulabschluß und damit die Berufsreife vorhanden, soll die Beschulung in Regelklassen erfolgen, um der Gefahr der Heranbildung von "Facharbeitern zweiter Klasse" zu begegnen. Ausländersammalklassen sollten in den Berufsschulen grundsätzlich nicht eingerichtet werden. Falls die deutschen Sprachkenntnisse es zulassen, sollte auch der Besuch beruflicher Vollzeitschulen empfohlen werden, damit weiterfahrende Bildungsabschlüsse erworben werden können. Während der Berufsschulzeit ist die Einhaltung der Berufsschulpflicht durchzusetzen.

Wichtig ist ferner die Verbesserung der Information über Ausbildungsund Berufsmöglichkeiten unter stärkerer Einbeziehung der Massenmedien sowie die Förderung einer arbeitsmarktorientierten Berufswahl durch entsprechende Beratung, in die die Eltern einbezogen werden müssen. Es ist erforderlich, die Eltern der jungen Ausländer zu überzeugen, daß sie ihren Kindern um einer besseren beruflichen Zukunft willen solche Chancen nicht verschließen dürfen. Gerade im Hinblick auf den künftigen Facharbeitermangel ist solche Beratung, bei der Berufe mit dem Schwergewicht auf der Beherrschung praktischer Kenntnisse und Fertigkeiten empfohlen werden sollten, von großer Bedeutung. Im Heimatland erworbene Bildungsabschlüsse müßten dabei stärker berücksichtigt werden.

Berufliche Förderung muß, um Erfolg zu haben, auf die Bereitschaft und die gemeinsamen Anstrengungen vieler Kräfte treffen: auf das Engagement derer, die von Berufs wegen damit befaßt sind (Berufsschuldirektoren, Berufsschullehrer, Betriebsleiter, Ausbilder in Handwerk und Industrie, ausländische Sozialberater), aber auch auf das Interesse und die Unterstützung der Eltern. Darüber hinaus sind flankierend viele freiwillige Kräfte nötig - Verbände und Gruppen, gemeindliche Initiativen und einzelne --,die auf ihre Weise mithelfen, die jungen Ausländer sprachlich zu fördern, sie für eine berufliche Ausbildung zu motivieren und ihnen in ihrer gesamten Entwicklung beizustehen. Gerade Christen müssen sich diesen Aufgaben stellen.

III.

Aufgaben in den Pfarrgemeinden

Durch die Nöte der ausländischen Familien und Jugendlichen müssen in besonderer Weise wir Christen uns angesprochen fühlen. Unsere Pfarrgemeinden müssen Stätten sein, in denen sie menschliche Hilfe und brüderliche Begegnung erfahren. Zumal unter Gliedern der einen Kirche darf es keine "Randgruppen" geben. Aber auch die Ausländer nichtchristlicher Religionen sind Kinder des einen Vaters. Dieses  Bewußtsein muß in unseren Gemeinden lebendig sein und wirksam werden.

Von vielfältigen Initiativen, beispielhaftem Engagement, aber auch von Ratlosigkeit und Enttäuschungen ist die Situation heute geprägt. Die Gefahr der Ghettobildung besteht auch im kirchlichen Bereich. Viele katholische Ausländer fühlen sich in unseren Pfarrgemeinden als Fremde. Mißtrauen und Vorurteile sind auf beiden Seiten zu finden. Unter den vielfältigen Möglichkeiten einer besseren Integration im kirchlichen Bereich, worauf die Gemeinsame Synode der Bistümer und die Gemeinsame Konferenz der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken ausführlich eingegangen sind, erscheinen folgende Schwerpunkte heute von besonderem Gewicht:

S Beteiligung der ausländischen Familien und Kinder am alltäglichen Pfarrgemeindeleben und an der Arbeit kirchlicher Gremien. Die wechselseitigen Beziehungen dürfen sich nicht auf Feste und anderweitige Anlässe beschränken. Gemeinsame Sakramentenkatechese ist in vielen Fällen verwirklicht. Doch treffen sich deutsche und ausländische Pfarrangehörige zu wenig zu gemeinsam gestalteten, zweisprachigen Gottesdiensten. Für ausländische Vertreter in Pfarrgemeinde- und Diözesanräten sollten größere Mitwirkungsmöglichkeiten geschaffen werden. Wichtig ist auch die Einbeziehung in Bildungsveranstaltungen und Familienfreizeiten und der Kontakt zu katholischen Verbänden mit berufs- und sozialpolitischer Aufgabenstellung. Woeine Ausländergemeinde am Ort besteht, sollten Begegnungen mit den ausländischen Seelsorgern und Gemeindemitgliedern zur Regel werden.

S Verstärkte Initiativen in der Jugendarbeit. Die Pfarrgemeinden müssen in ihrer offenen Jugendarbeit auf die ausländischen Kinder und Jugendlichen zugehen, Jugendverbände die Bildung gemischter  Gruppen auf allen Ebenen nachhaltig fördern. Ein besonderes Augenmerk muß auf der Schaffung gemeinsamer Freizeitangebote für deutsche und ausländische Jugendliche liegen. Durch die Mitwirkung in Chorgemeinden, Sing- und Musikgruppen bieten sich zum Beispiel gute Möglichkeiten der Integration. Sie werden in der Regel zu wenig bedacht und sind bei den Verantwortlichen nicht genügend bekannt.

S Gezielte Ansprache der ausländischen Frauen durch katholische Verbände und Familienbildungsstätten. Angesichts ihrer besonderen Belastungen bedürfen die ausländischen Frauen verstärkt des Kontaktes und der Hilfe, vor allem für ihre Aufgabe der Kindererziehung. Viele von ihnen waren in ihren Heimatländern im Gemeindeleben aktiv engagiert und sind auch hier an Gelegenheiten zur Beteiligung am Gemeindeleben interessiert.

S Initiativen in der Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, die Gelegenheit zu offener Aussprache über Probleme geben und zu einem verständnisvollen Zusammenleben beitragen. Wir appellieren an die Kräfte des Laienapostolates in den Gemeinden, alle Möglichkeiten konkreten Engagements auszuschöpfen, im Bewußtsein, daß viele kleine Schritte zu dieser "Zivilisation der Liebe" beitragen, zu deren  Verwirklichung uns Papst Johannes Paul II. aufgerufen hat und die im Zusammenleben mit den ausländischen Mitbürgern, ohne Unterschied der Nation oder Religion, einen ganz konkreten Ausdruck finden kann.

Anmerkungen:

1) Der ausländische Arbeitnehmer - eine Frage an die Kirche und die Gesellschaft, in: Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Offizielle Gesamtausgabe I, Freiburg, Basel, Wien, 2. Aufl. 1976.

2) Stellungnahmen und Vorschläge der Gemeinsamen Konferenz von Deutscher Bischofskonferenz und Zentralkomitee der deutschen Katholiken zur Integration ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familien im kirchlichen und gesellschaftlichen Bereich vomm 1. Juni 1979; in: Berichte und Dokumente des ZdK, Nr. 40, März 1980

3) Als Elemente einer solchen Integrationspolitik nennt die Gemeinsame Konferenz "ein Höchstmaß an Rechtssicherheit, ein größtmögliches Maß an eigener Entscheidungsfreiheit und Mitwirkung, volle Gleichheit der Chancen und der sozialen Sicherung, kulturelle und religiös-kirchliche Eigenständigkeit", a.a.O. Nr. V Abs. 3

4) Richtlinie Nr. 77/486/EWG des Rates der EuropäischenGemeinschaften am 25. Juli 1977 über die schulische Betreuung der Kinder von Wanderarbeitnehmern.

 

Beschlossen vom Geschäftsführenden Ausschuß des Zentralkomitees der deutschen Katholiken am 4. Dezember 1981

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