Ihre Aufgaben nach Innen und Aussen

Die weltpolitische Herausforderung der Bundesrepublik Deutschland

Erklärung des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK) aus Anlass der Bundestagswahl 1980

Die jüngsten weltpolitischen Ereignisse sind derart, daß sich die Bundesrepublik Deutschland kein Stillhalten und auch nicht den Versuch des Wegguckens unter den Stürmen der Weltauseinandersetzungen leisten kann. Freiheit und Friede sind nicht dadurch zu bewahren, daß man andere handeln läßt. Friede und Sicherheit, Freiheit und Recht, Gerechtigkeit und Gemeinschaft sind dem einzelnen wie einem Volk stets Auftrag und Verantwortung. Ihre Verwirklichung verlangt Anstrengung und Auseinandersetzung, verlangt den Mut zum Wagnis. Eine Politik, die solches Wagnis scheut und sich auf die Konservierung des Erreichten beschränkt, ist in Wirklichkeit eine Politik des Verfalls.

In der Bundesrepublik Deutschland läuft die Politik Gefahr, sich in der Perfektionierung des Bestehenden zu erschöpfen. Gesetzgebung und Verwaltung werden immer lückenloser ausgebaut, freie Räume vom Staat besetzt, Anspruchsdenken gefördert. Beschränkung auf den Ausbau des Bestehenden ist aber Immobilität und Verzicht auf Zukunftsperspektive. Eine Politik, die nur sich selbst wiederholt, die, nach Erschöpfung ihrer Idee, nur noch Administration ausbaut, wird der Dynamik des Lebens und unserer Verantwortung für die Zukunft nicht gerecht. Unsere Jugend hat einen Anspruch darauf, daß über die pragmatische Alltagspolitik - die gewiß ihr Recht und ihr Ethos hat - hinaus langfristige politische Zielsetzungen sichtbar werden.

Freiheit als Aufgabe

In der Bundesrepublik Deutschland ist seit ihrer Gründung durch die gemeinsame Anstrengung aller in Wirtschaft, Gesellschaft und Staat vieles geschaffen worden, was für mehr Menschen mehr Freiheit, mehr Gerechtigkeit, mehr Solidarität hat erfahrbar werden lassen. Was sich bewährt hat, ist zu bewahren, was als bewahrenswert erhalten bleiben soll, bedarf stets der Bewährung in der Erneuerung und Weiterentwicklung. Auch die Bundesrepublik Deutschland bedarf der Erneuerung. Der Glanz der Freiheit muß neu in ihr aufleuchten. Solidarität und persönliche Opferbereitschaft müssen den Egoismus der Gruppe und des einzelnen ersetzen. Der Vielfalt der Ansprüche muß das gleiche Maß von Verantwortung entsprechen.

Unser Volk braucht eine patriotische Perspektive, die in seiner Geschichte und in der Achtung vor Menschenwürde und Recht gründet und sich im Ringen um Freiheit entfaltet. Dazu gehört das Gespür für weltpolitische Verantwortung angesichts der Herausforderung durch politische Unfreiheit, soziale Ungerechtigkeit und wirtschaftliches Elend. Unser Volk braucht die Besinnung auf die tragenden Werte seiner christlichen Tradition, ohne die sich wirkliche Humanität nicht entfalten kann. Wir erwarten von den führenden Politikern die Bereitschaft, die Herausforderungen unserer Zeit anzunehmen.

Die Ereignisse im Mittleren Osten, der sowjetische Überfall auf Afghanistan, ernsthafte Störungen des internationalen politischen und wirtschaftlichen Lebens und die Aufgaben, die sich aus der zunehmenden Verflechtung unseres Schicksals mit dem anderer Kontinente ergeben, betreffen immer mehr auch unser Land. Unser Leben wird in den nächsten Jahren nicht in den gewohnten Bahnen weitergehen.

Es ist schwerer geworden, politische Entwicklungen in der Welt zu kalkulieren und die internationalen Beziehungen verläßlich zu gestalten. Irrationale Ausbrüche, ideologische Übersteigerungen und gewalttätig Aktionen haben Völker an den Abgrund gebracht, die internationale Rechtsordnung und damit den Frieden in Frage gestellt.

Der Flüchtlingsstrom der letzten Jahre von mindestens 13 Millionen Menschen in der Welt macht das Ausmaß menschenrechtsverletzender Politik besonders deutlich. Die Bürger in der Bundesrepublik müssen das Flüchtlingselend als eine Herausforderung begreifen. Die Aufnahme der Menschen und ihre Einbeziehung in unser Leben können das Elend lindern. Humanitäre Hilfe allein genügt aber nicht. Vielmehr müssen internationale Bemühungen nachdrücklich auf die Beseitigung der Ursachen des Flüchtlingselends gerichtet sein.

Was ist Friede?

Heute erhält die Frage nach Inhalt und Bedingungen des Friedens neue um fassende Bedeutung. In den vergangenen Jahren hat sich bei uns vielfach eine Auffassung ausgebreitet, die weithin darauf vertraute, daß der Friede mit politischen Formeln beschworen und schon durch eine Verschränkung gegenseitiger Interessen erhalten werden könne. Dieses verengte Friedensverständnis, das sich in Wirklichkeit allein auf den Schutz durch andere verläßt, muß überwunden werden. Wir müssen unsere Verpflichtung erkennen, aktiv für den Frieden zu wirken, nicht nur im eigenen Land, sondern auch in der Welt.

Friede ist nicht allein Sache diplomatischer Abmachungen, er gründet sich wesentlich auf eine Ordnung, die den Menschen gerecht wird. Er gedeiht nur auf der Grundlage verläßlicher rechtlicher und moralischer Normen und fordert sowohl Bereitschaft zur Überwindung von Konflikten wie auch Unnachgiebigkeit gegenüber Verletzungen des Völkerrechts und aggressiven Akten und nicht zuletzt glaubhafte Anstrengungen zur Verteidigung von Freiheit und Recht nach innen und außen.

Friede in Freiheit

Es gibt entspannungspolitische Vorstellungen, die manche dieser unentbehrlichen Elemente einer wirklichen Friedenspolitik außer acht lassen. Abwehrbereitschaft als Preis für einen Frieden in Freiheit wird nicht genug betont. Entspannung verfehlt ihr Ziel, wenn sie den Frieden als Kompromiß zwischen Freiheit und Unfreiheit begreift. Entspannung kann ihr Ziel nur erreichen, wenn sie sich als Schritt auf dem Weg zu einem Frieden in Freiheit versteht.

Wir erwarten von unseren Politikern, gerade jetzt vor aller Welt zu bekunden, daß dauerhafter Friede eine politische Ordnung voraussetzt, die auf Menschenwürde, Freiheit und Gerechtigkeit basiert und entschlossen zur Eindämmung von Friedensbedrohungen beiträgt. Dazu gehören entschiedenes Eintreten für die Menschenrechte, für das Selbstbestimmungsrecht der Völker, für den Schutz der Minderheiten und für einen gewaltfreien internationalen Ausgleich genauso wie Vorkehrungen für die militärische Sicherheit wie für nichtmilitärische Verteidigungskonzepte, Bereitschaft zu allseitiger, international kontrollierter Abrüstung, Abbau der tiefgreifenden wirtschaftlichen Ungleichheiten zwischen den Staaten und die Mitarbeit beim Aufbau sozialer Gerechtigkeit in der Welt. Kein Element dieses Gefüges darf isoliert oder vernachlässigt werden.

Diese Forderung läßt sich nur erfüllen, wenn die Bundesrepublik Deutschland eng mit ihren Verbündeten zusammenarbeitet. Die solidarische Verbundenheit mit den Vereinigten Staaten von Amerika garantiert entscheidend unsere Sicherheit und die Freiheit von Berlin. Dies darf die deutsche Politik nie außer acht lassen. Sie muß ihre Bündnisverpflichtungen ernst nehmen.

Partner der Dritten Welt

Die jüngsten Ereignisse in der Weltpolitik eröffnen die Chance, stärker als bisher gemeinsam mit Staaten der Dritten Welt für die Sicherung von Frieden und Freiheit zu arbeiten. Die Leistungsfähigkeit der westlichen Demokratien kann vielen Entwicklungsländern dabei helfen, Ursachen der Unterentwicklung wie Armut, Unwissenheit und Arbeitslosigkeit zu überwinden und stabile rechtsstaatliche, wirtschaftliche und politische Verhältnisse zu schaffen. Wir müssen bereit sein, stärker als bisher mit anderen zu teilen. So werden wir die internationale Partnerschaft im Kreis der freien Völker stärken.

Dazu sind auch Veränderungen in den Weltwirtschaftsbeziehungen nötig, die die Startbedingungen der Entwicklungsländer verbessern und den weltwirtschaftlichen Austausch zum wechselseitigen Nutzen fördern. Zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit gehört auch die Beachtung von Überlieferungen, gesellschaftlichen Strukturen, Religionen und Kulturen der Völker. Alle diese Elemente haben nicht nur eine große soziale Bedeutung, sie sind zugleich von hohem weltpolitischen Gewicht.

Unfreiheit bedroht Frieden

Unsere auswärtige Politik hat stets auch die Aufgabe, gegen Unterdrückung zu kämpfen, Not zu lindern und die Chancen der Freiheit in der ganzen Welt zu nutzen und zu vergrößern. Da Freiheit nur in Frieden zu verwirklichen ist, muß unablässig an den Voraussetzungen für eine friedliche Entwicklung der Welt gearbeitet werden. Unfreiheit ist eine ständige Bedrohung des Friedens. Friede und Freiheit sind nie gegeneinander, sondern nur miteinander zu realisieren. Unser nationales Interesse und die internationale Solidarität gebieten es, auch unter erschwerten wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen im eigenen Land mit der Bereitschaft zu erheblichen Opfern an dieser Aufgabe weiterzuarbeiten. Wir erwarten von den Politikern, daß sie dafür ein klares Konzept entwickeln und mutig handeln.

II.

Wenn wir die Herausforderungen von außen bestehen und unseren aktiven seitrag zur Sicherung von Freiheit und Frieden leisten wollen, dann kommt es ganz entscheidend auf die innere Verfassung unseres Volkes an. Für sie tragen wir alle, einzelne und Gruppen, Mitverantwortung. Aber auch die, die im Staat besondere Aufgaben übernommen haben, müssen alles tun, um diese innere Verfassung zu stärken. Wir erwarten von ihnen, daß sie die Grundwertentscheidungen unseres Grundgesetzes überzeugend vertreten und zur Wahrung des Rechtsfriedens, der Freiheit und der Gerechtigkeit beitragen.

Gesetzgebung setzt Maßstäbe

Das gilt insbesondere für die Gesetzgebung, die für das Leben wichtige Maßstäbe setzt und die Entwicklung unserer Gesellschaft nachhaltig beeinflußt. Sie muß dem Bürger Rechtsschutz gewähren, die Verantwortung des Menschen stärken, gesellschaftliche Gruppen fördern und eine Ordnung der Gerechtigkeit für alle verbürgen. Das gelingt nur, wenn der Gesetzgeber den engen Zusammenhang zwischen unserer Verfassungsordnung und den grundlegenden ethischen Werten beachtet. Wo das nicht geschieht, da nimmt die Rechtsentwicklung einen gefährlichen Weg und trägt dazu bei, daß Wertbewußtsein und Normen in der Gesellschaft abgebaut werden.

Wir fordern eine Gesetzgebung, die das menschliche Leben in allen seinen Phasen so achtet und schützt, wie es unsere Verfassung verlangt. Dies gilt insbesondere für das ungeborene Kind, dessen Schutz wiederhergestellt werden muß. Schutz und Förderung des Staates erwarten wir auch für Ehe und Familie, die für die persönliche und soziale Entwicklung des Menschen von größter Bedeutung sind. Der hohe Rang von Ehe und Familie darf nicht subjektiver Beliebigkeit preisgegeben werden. Er muß auch in der Gesetzgebung und Rechtsprechtung anerkannt werden.

Grundwert Familie

Wir fordern eine Familienpolitik, die sich nicht als Hilfsaggregat für andere politische Zwecke versteht. Die Familie hat ihr Recht als natürliche Gemeinschaft; sie ist Staat und Gesellschaft vorgegeben. Es ist falsch, sie bloß als Dienstleistungsunternehmen zur Sicherung einer angemessenen Bevölkerungsentwicklung und zur Sozialisation von Kindern anzusehen. Die Familie ist ein eigener Wert, der sich nicht erst durch besondere Leistungen in Staat und Gesellschaftrechtfertigen muß. Daher muß der Staat die Familie ideell und finanziell fördern. Eine Politik, die die Familie stärkt, festigt die Freiheit für den einzelnen und dient dem Frieden in der Gesellschaft.

Kinder sind Ausdruck von Lebensbejahung und Zukunftserwartung eines Volkes. EineGesellschaft, die über den Tag hinaus an morgen denkt, hat immer Platz für Kinder. Deren Erziehung ist zuallererst Recht und Aufgabe der Familie. Der Staat soll diese Erziehung durch die Schule ergänzen und unterstützen. Es kommt ihm nicht zu, eigene Erziehungsleitbilder aufzustellen und das Erziehungsrecht der Familie zu beschneiden. Wir fordern von den Parteien und vom Parlament, daß sie mithelfen, in unserer Gesellschaft ein kinderfreundliches Klima zu schaffen und für einen gerechten Ausgleich der Lasten zu sorgen, die die Familien für uns alle tragen. Eine zukunftsorientierte Sozialpolitik muß im System der sozialen Sicherung die Belastungen und Leistungen bei Kindern, Erwerbstätigen und alten Menschen gerechter ausgleichen und dadurch Solidarität der drei Generationen wieder ermöglichen. Sie muß darüber hinaus die Voraussetzungen dafür schaffen, daß Frauen und Männer sich für ihre Aufgaben in Ehe und Familie frei entscheiden können, ohne in ihrer beruflichen Entwicklung unzumutbar beeinträchtigt  zu werden und in ihrer sozialen Sicherung Nachteile zu erleiden.

Sozialstaat erhalten

Unser Land gehört zu den wohlhabenden und sozialrechtlich fortschrittlichsten Ländern der Erde. Der hohe Standard sozialer Leistungen ist ein Ergebnis der wirtschaftlichen Entwicklung, die wiederum ohne unsere Sozialpolitik so nicht möglich geworden wäre. Es stellt sich jetzt die Aufgabe, den Sozialstaat zu erhalten und weiter auszugestalten. Dies wird nicht leicht sein, weil Preissteigerungen für Rohstoffe und Energie, verlangsamtes wirtschaftliches Wachstum, beträchtliche Arbeitslosigkeit und erhöhte Anforderungen für die Sicherung von Freiheit und Frieden im nationalen wie im internationalen Bereich den finanziellen Spielraum des Bundeshaushalts erheblich einengen.

Unter diesen Umständen müssen die sozialen Aufwendungen gezielt dort eingesetzt werden, wo es darum geht, die berufliche und gesundheitliche Leistungsfähigkeit zu verbessern sowie soziale Nachteile, etwa bei Mehrkinderfamilien, Alleinstehenden mit Kindern, Rentnern mit niedrigem Einkommen und ausländischen Arbeitnehmern und ihren Familien zu beseitigen. Diese Gruppen dürfen nicht noch mehr an den Rand gedrängt werden.

Dem Gemeinwohl verpflichtet

Diese Belastungen lassen sich meistern, wenn alle Bürger Solidarität üben und ihre Gemeinwohlverpflichtung erkennen, die uns gebietet, das eigene Leben so zu führen, daß es den Voraussetzungen für ein gutes Zusammenleben aller entspricht. Die Sorge des Staates für alle nur denkbaren sozialen Belange macht einerseits immer mehr Risiken des Lebens tragbar, kann aber andererseits mehr und mehr die eigenverantwortliche Lebensplanung des Bürgers gefährden. Sozialpolitik darf deshalb nicht nur unter dem Gesichtspunkt einer dauernden Perfektionierung der Leistungen gestaltet werden. Das soziale Netz darf nicht zur Falle für die Freiheit werden. Sozialpolitik muß mehr als bisher darauf angelegt sein, die Verantwortung des Bürgers für sich und seinen Nächsten zu stärken.

Gerade in einer Demokratie, die von der Mitverantwortung und Mitbestimmung des Bürgers lebt, muß sich der einzelne stets  bewußt sein, daß alle staatlichen Leistungen, die er in Anspruch nimmt, letztlich von anderen Menschen erbracht werden. Der Staat kann nur dann rechtsstaatliche Verhältnisse, Wohlstand, soziale Sicherheit für alle und Schutz nach innen und außen garantieren, wenn jeder einzelne bereit ist, sein Maß an Gegenleistung zu erbringen. Deshalb darf auch das Steuersystem nicht leistungsfeindlich sein.

Prioritäten für die Zukunft setzen

Die Politiker unseres Landes sind verpflichtet, in der staatlichen Ausgabenpolitik überhöhten Forderungen zu wehren und Prioritäten zu setzen, die den Lebensinteressen und der Verantwortung unseres Volkes entsprechen. Sie müssen die Schuldenlast so abbauen, daß die öffentlichen Einnahmen nicht mehr und mehr für die Verzinsung und Tilgung von Staatsschulden aufgewandt werden müssen. Wer der kommenden Generation wirklich Zukunftschancen eröffnen und unserem Land weitere Entwicklung sichern will, muß schon heute dafür sorgen, daß auch finanziell Spielräume für wirtschaftliche, soziale, kulturelle und politische Gestaltungsmöglichkeiten erhalten bleiben und wieder geschaffen werden.

Dank der Zusammenarbeit aller am Wirtschaftsprozeß beteiligten Gruppen hat die Soziale Marktwirtschaft seit Jahrzenten zahlreiche Aufgaben und Schwierigkeiten bewältigt, wie es keinem planwirtschaftlichen System je gelungen ist. Ihre Leistungsfähigkeit ist jedoch nicht selbstverständlicht sie bedarf immer wieder neuer Anstrengungen und Verbesserungen sowie der geistigen und ordnungspolitischen Fundierung. Mehr noch als bisher muß dabei der Mensch als Träger und Ziel des Wirtschaftens in den Mittelpunkt gestellt werden.

Soziale Marktwirtschaft sichern

Verknappungen und Verteuerungen auf den Weltmärkten, technische Umwälzungen, die Notwendigkeit, mit Rohstoffen sparsamer umzugehen und zugleich die Umwelt als Lebensraum des Menschen zu schonen, inflationäre Entwicklungen und Arbeitslosigkeit stellen unsere Wirtschaft vor eine neue Bewährungsprobe. Wir werden diese Bewährungsprobe nur bestehen, wenn nicht jede Gruppe versucht, sich selbst im Verteilungskampf schadlos zu halten. Wir können die Soziale Marktwirtschaft sichern, wenn wir unsere wissenschaftlichen und technischen Fähigkeiten nutzen, die Leistungsbereitschaft aller aktivieren und uns darauf einstellen, daß wir als einzelne und als Gemeinschaft nicht über unsere Verhältnisse leben dürfen. Die Vermögensbildung muß nachhaltig gefördert werden mit dem Ziel, die Arbeitnehmer am Unternehmen zu beteiligen. Wir erwarten von den Politikern, daß sie eindeutig für die Soziale Marktwirtschaft eintreten.

Einheit der Schöpfung

Die Umweltproblematik läßt sich nicht aus dem politischen Gesamtzusammenhang herauslösen. Sie kann nur im Rahme iner Politik behandelt werden, die die Grenzen der Belastbarkeit im Spannungsfeld Mensch - Technik - Natur kennt und vor allem den ganzheitlichen Zusammenhang der Schöpfung achtet. Voraussetzung dafür ist, daß der Mensch die Technik auch geistig beherrscht und nicht zu ihrem Sklaven wird. Darüber hinaus darf er die Natur nicht mit Hilfe seiner großen technischen Möglichkeiten derart überlasten, daß er sie zerstört und sich damit seiner Lebensgrundlage beraubt. Der Mensch kann nur im Bewußtsein seiner Abhängigkeit von der Natur überleben. Die Natur wäre jedoch in ihrem Sinn verkannt, wenn ihre Hinordnung auf den Menschen geleugnet wurde.

Wer die Umweltproblematik absolutsetzt, kommt nicht zu Lösungen, sondern zu Verzerrungen. Wo nicht das Ganze bedacht wird, bleibt das Gemeinwohl auf der Strecke. Wer nicht die Natur dem Menschen und nicht den Menschen der Natur entfremden will, kann dies nur im Rahmen eines Konzepts tun, das nicht neue Einseitigkeiten schafft. In diesem Rahmen muß auch die Frage der Energieversorgung gelöst werden. Sie ist lebenswichtig; denn ohne ausreichende Energieversorgung gibt es keinen wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt. Der Energiebedarf ist jedoch unter Berücksichtigung aller Sparmöglichkeiten sorgfältig abzuschätzen und umweltschonend zu decken.

III.

Gerade die Ereignisse des letzten Jahres haben uns allen erneut bewußt gemacht, welche hohen Güter Freiheit und Friede sind. Freiheit und Friede sind die Grundlagen der Bundesrepublik Deutschland. Sie müssen mehr denn je Maß und Ziel deutscher Politik sein. Alles, was dem entgegensteht, widerspricht der Idee unseres Staates. Es schwächt ihn und zerstört Hoffnungen auch bei den Menschen in unserem gespaltenen Land, denen fremde Gewalt die freie Mitwirkung am staatlichen Leben nach wie vor verwehrt. Auch um sie, nicht nur um uns, geht es, wenn wir fordern, daß die Macht der Freiheit gestärkt werden muß.

Wertgebundene Politik

Freiheit und Friede gewinnen ihre überzeugende Kraft aus grundlegenden ethischen Werten, ohne die jedes Gemeinwesen zerfällt. Dessen müssen sich gerade in einer Demokratie die Bürger, ihre politischen Repräsentanten und die Medien bewußt sein. Die künftige deutsche Politik wird moralische Qualität mehr als bisher brauchen, wenn sie den Herausforderungen und Aufgaben der Zeit gewachsen sein will.

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken will mit dieser Erklärung dazu beitragen, daß in den Auseinandersetzungen des Wahlkampfes bestimmte zentrale Lebensfragen unserer Gesellschaft beachtet werden. Wir bitten alle Bürger, die Parteien und ihre Kandidaten, sich mit unseren politischen Vorstellungen auseinanderzusetzen. Aus der Art und Weise, wie die Parteien auf unsere Argumente und Forderungen eingehen, sie in ihrer Programmatik berücksichtigen und sich in der politischen Praxis danach richten, wird sich die Nähe oder Ferne des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zu ihnen bestimmen. Wir erwarten von den demokratischen Parteien unseres Landes einen Wahlkampf, der bei aller Härte und Entschiedenheit in der Sache den Grundkonsens der Demokraten bewahrt und den Respekt vor dem politischen Gegner bestehen läßt.

An die Katholiken richten wir den Appell, die Forderungen dieser Erklärung in der politischen Diskussion zu vertreten. Wir rufen alle Wähler auf, mit ihrer Entscheidung eine Politik zu stärken, die unserem Land Zukunft in Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit sichert.

 

Beschlossen von der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken am 23. Mai 1980

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