Erklärung aus Anlass der bevorstehenden Bundestagswahl

des Geschäftsführenden Ausschusses des Zentralkomitees der deutschen Katholiken

Die Bürger der Bundesrepublik Deutschland sollen noch in diesem Jahr über die künftige Zusammensetzung des Deutschen Bundestages entscheiden. Der außerordentliche Wahltermin entspricht der ernsten Situation unseres Landes.

Erstmals in unserer Geschichte leben wir seit über 20 Jahren in einer parlamentarischen Demokratie, die sich als tragfähige Ordnung für Recht und Freiheit erwiesen hat. Diese Ordnung gilt es zu sichern und weiterzuentwickeln. Sie kann durch die bevorstehende Entscheidung der Wähler gestärkt oder geschwächt werden. Sechs Jahrgänge werden zum erstenmal wählen. Viele junge Menschen interessieren sich heute wieder stärker für Politik. Auch sie haben jetzt die Chance, an der Lösung schwieriger politischer Probleme mitzuwirken. Unser Land braucht die verantwortungsbewußte Mitarbeit aller, der Jungen und der Alten. Zumal die Christen sind im Gewissen verpflichtet, ihre politische Verantwortung wahrzunehmen.

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken wendet sich an die Öffentlichkeit und bittet alle, im Wahlkampf und bei der Wahlentscheidung entsprechend der kritischen Situation unseres Landes zu handeln.

Die Bindung unseres Volkes an Recht und sittliche Werte muß gefestigt werden. Mehr und mehr wird bei uns persönliche Freiheit mit subjektiver Beliebigkeit verwechselt. Zunehmende Brutalität, Verherrlichung und Anwendung von Gewalt sowie der Versuch, dem ungeborenen Leben den rechtlichen Schutz zu entziehen, sind unübersehbare Signale dafür, wieweit in unserer Gesellschaft ein durch subjektive Beliebigkeit bestimmtes sozialschädliches Verhalten fortgeschritten ist. Es ist besorgniserregend, daß der Staat seit einigen Jahren diesem sittlichen und rechtlichen Verfall immer weniger entgegenwirkt. So werden dem Deutschen Bundestag heute Entwürfe zur Reform des § 218 StGB vorgelegt, die dem menschlichen Leben in den ersten drei Monaten jeglichen Rechtsschutz versagen (sogenannte Fristenlösung) oder die mit der Straffreigabe der Abtreibung bei "allgemeiner Notlage", wie der Regierungsentwurf sie vorsieht, die Tötung menschlichen Lebens faktisch als Mittel zur Abwehr sozialer Härten verstehen. Das Zentralkomitee hat zu diesen Fragen seine Auffassung unmißverständlich dargelegt und zu konstruktiver Hilfe aufgerufen.

Eigenverantwortliches Engagement darf nicht dirigistischen und versorgungsstaatlichen Entwicklungen geopfert werden. In den letzten Jahren verstärken sich Tendenzen, die Eingriffe des Staates in Wirtschaft und Gesellschaft auszuweiten und die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch freie gesellschaftliche Kräfte zu erschweren. Gesellschaftliche Freiheit und demokratischer Staat leben vom eigenverantwortlichen Engagement der Bürger und ihrer Gruppen, Zusammenschlüsse und Einrichtungen. Der Staat darf die Tätigkeit der freien gesellschaftlichen Kräfte nicht einengen oder bevormunden, er muß sie unterstützen und ihre Entwicklung fördern.

Soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Entwicklung müssen miteinander in Einklang gehalten werden. Ein Staat, der die heutige Geldentwertung nicht ernsthaft bekämpft, betreibt eine Politik sozialer Ungerechtigkeit. Die Leidtragenden sind vor allem die wirtschaftlich Schwachen. Besonders betroffen sind die Familien, zumal die Leistungen des Familienlastenausgleichs im wesentlichen unverändert und daher weit zurückgeblieben sind. Wirtschafts- und Finanzpolitik müssen unter dem Gebot sozialer Gerechtigkeit stehen und dürfen nicht zur "Systemüberwindung" mißbraucht werden. Im bevorstehenden Wahlkampf sind alle Politiker und Parteien aufgerufen, ihre finanz- und wirtschaftspolitischen Ziele von "systemüberwindenden" Forderungen abzusetzen.

Internationale Zusammenarbeit und die Solidarität mit der Dritten Welt müssen gestärkt werden. Die Bundesrepublik Deutschland hat ihre Politik auf Verständigung und Frieden ausgerichtet. Auch der Schutz vor äußerer Gewalt muß ein integraler Bestandteil unserer Friedenspolitik sein. Die Weiterentwicklung der Einigung Europas darf nicht hinter andere außenpolitische Ziele zurückgestellt werden. Darüber hinaus wollen wir mit allen Nachbarn in West und 0st und mit den Ländern der Dritten Welt zusammenarbeiten. Es wäre ein Zeichen der Hoffnung, wenn wir über die moralische Kraft verfügten, unseren Aufgaben und Pflichten in der Solidarität mit der Dritten Welt gerecht zu werden.

Extreme politische Gruppen müssen eine kräftige Absage erfahren. Diese Gruppen stellen eine ernste Gefährdung der rechtsstaatlichen Ordnung und der politischen und persönlichen Freiheit dar. Sie dürfen nicht durch Wahlenthaltung aus  Resignation oder Wahlentscheidung aus Protest direkt oder indirekt gestärkt werden. Alle, die eine Politik des Friedens, der Verständigung und der Zusammenarbeit der Völker erstreben, sollten solche politisch radikalen Tendenzen gemeinsam abwehren. Von den Parteien, namentlich aber von den Bewerbern für den neuen Bundestag erwarten wir, daß sie sich eindeutig von "systemüberwindenden" und nationalistischen Forderungen distanzieren. Sozialistische Utopien, aber auch nationalistische Illusionen werden wieder zu politischen Programmen. Aber nicht ein wirklichkeitsfremder Utopismus, der die Freiheiten des demokratischen Staates zu dessen Beseitigung mißbraucht, sondern der Mut zum heute Machbaren ist das Gebot der Stunde.

 

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